Zum Tod von Françoise Sagan:So charmant war dieses Monster

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Erinnerungen an Nierentische und geschwungene Karosserien werden wach, wenn man an Titel wie "Bonjour tristesse" oder "Un certain sourire" denkt. Nun starb die französische Schriftstellerin im Alter von 69 Jahren.

Von Kristina Maidt-Zinke

In Frankreich sieht man sie noch häufig, die hochnervösen, wie vom Friedhofsgärtner getrimmten Zwergpudel, die bei uns zuletzt in den fünfziger Jahren en vogue waren. Ein gestandener Hundefreund kann diese Rasse nicht recht ernst nehmen, so wie ein Literaturkenner es nicht über sich bringen würde, das Œuvre der Françoise Sagan zum weltliterarischen Kanon zu rechnen. Die Franzosen aber haben beiden, der Dame wie dem Hündchen, unverbrüchlich und galant die Treue gehalten.

Die Schriftstellerin, die 1935 als Françoise Quoirez in Carjac im Département Lot geboren wurde, gehörte seit einem halben Jahrhundert zum Kulturerbe und VIP-Bestand der Nation, obwohl die Zahl derer, die sie nie gelesen hatten, unaufhaltsam wuchs, obwohl schon lange ihre Affären, Skandale und Prozesse viel mehr von sich reden machten als ihre Bücher. Und nun ist sie postum doch noch einmal literarisch hervorgetreten, indem sie ihren Nachrufschreibern den Einstiegssatz geschenkt hat: "Bonjour tristesse, Sagan est morte", oder auch: "Bonjour tristesse, adieu Sagan".

Wie war das damals mit dem Roman, der ihren Ruhm begründete und das Lebensgefühl eines Jahrzehnts auf jene bezwingende Formel brachte? "Ich zögere, diesem fremden Gefühl, dessen sanfter Schmerz mich bedrückt, seinen schönen und ernsten Namen zu geben: Traurigkeit. Es ist ein so ausschließliches, so egoistisches Gefühl, daß ich mich seiner fast schäme - und Traurigkeit erschien mir immer als ein Gefühl, das man achtet."

Das schrieb eine Achtzehnjährige aus gut betuchten Industriellenkreisen, deren Familie aus der südwestlichen Provinz nach Paris gezogen war, in die vornehme Gegend am rechten Seineufer. Sie war behütet aufgewachsen und mit liebevoller Strenge erzogen worden, schwärmte für schnelle Autos und hatte sich das Abiturthema "Spuren der klassischen Tragödie im wirklichen Leben" ausgesucht. Innerhalb weniger Wochen, der Legende nach vorwiegend in Cafés, verfertigte sie die Sommergeschichte um einen charmanten Witwer und dessen verwöhnte Tochter, die es nicht ertragen kann, dass ihr Vater sich noch einmal ernsthaft verliebt, und ihre Rivalin halb absichtsvoll, halb ungewollt in den Tod treibt.

Mit Prüderie zum Erfolg

Eine Geschichte von bourgeoisem Wohlleben und frühem Überdruss, mit erotischen Passagen, die für damalige Verhältnisse skandalös freizügig waren, erzählt in einem aus Unschuld, Sinnlichkeit und Zynismus gemischten Ton und in einer Sprache, der man seinerzeit "gläserne Präzision" nachsagte. Den Titel "Bonjour tristesse" hatte die Verfasserin von Paul Eluard entlehnt, ihr Pseudonym (auf dem die Eltern bestanden) von einer Figur Marcel Prousts, der Princesse de Sagan aus "Du Côté de Guermantes". Diese bürgerliche Prüderie trug nicht wenig, wie man vermuten darf, zu ihrem Erfolg bei, denn Sagan stimmte so einen Klang an, der für ihre Romane und Theaterstücke geradezu leitmotivische Bedeutung bekam.

Im Januar 1954 übergab sie das Manuskript dem Verleger René Juillard, der das Buch im März herausbrachte und schon wenige Tage später nachdrucken musste. Drei Monate später erhielt Françoise Sagan, das "charmante Monster", wie Nobelpreisträger Francois Mauriac sie auf der Titelseite des Figaro nannte, den "Prix des Critiques". Am Jahresende waren 200.000 Exemplare verkauft - ein bis dahin unerhörter Fall in der französischen Verlagsgeschichte, der inzwischen als Initialzündung für den Boom weiblicher Literatur und das Erfolgsgeschäft mit blutjungen Autoren gilt.

Es folgten "Un certain sourire" (Ein gewisses Lächeln), "Dans un mois, dans un an" (In einem Monat, in einem Jahr) und "Aimez-vous Brahms?" (Lieben Sie Brahms?) - Titel, die heute Erinnerungen an Nierentische und geschwungene Karosserien wecken, eine halbseidene Eleganz und leicht hypochondrische Melancholie evozieren. Ihre später erschienenen Bücher wie beispielsweise "Le chien couchant" (1980) und ein halbes Dutzend weiterer Titel fanden mit Ausnahme zweier Romane, "La femme fardée" (1981) und "Un sang d'aquarelle" (1987), sowie ihrer 1984 veröffentlichten Erinnerungen "Avec mon meilleur souvenir" bei Publikum wie Kritik keine Gnade mehr.

Immer wieder ging es um Liebe, in Dreiecksverhältnissen zumeist, und die vom Hauch des Existentialismus gestreifte Glücksunfähigkeit einer gebildeten, materiell sorgenfreien Klasse. Millionenauflagen waren garantiert, Übersetzungen und prominent besetzte Verfilmungen trugen Sagans Ruf in alle Welt. Der Nouveau roman, der etwa gleichzeitig seinen exklusiveren Siegeszug antrat, interessierte sie nicht: Ihr Literaturverständnis war altmodischer, simpler, wenn ihre intellektuelle Genügsamkeit auch einer gewissen Selbstironie nie entbehrte.

Mehr Society-Chronik als Literaturgeschichte

Der Rest ist mehr Society-Chronik als Literaturgeschichte. Die junge Frau, äußerlich ohne Glamour, aber von einer fiebrigen Lebensgier besessen, stürzte sich kopfüber in alle Ausschweifungen, zu denen Ruhm und Reichtum ihr die Tür geöffnet hatten. Zwischen Saint-Germain-des-Prés und Saint-Tropez ging sie "mit jedem ins Bett", wie sie bekannte; zwei Ehen scheiterten; ihre Drogensucht brachte sie wiederholt in Entzugskliniken und vor Gericht; ihr Faible für Rasereien in teuren Sportwagen hätte sie schon 1957 fast mit dem Leben bezahlt.

Sie lebte verschwenderisch, machte Schulden und musste ihrer Spielleidenschaft schließlich selbst Einhalt gebieten, indem sie sich den Eintritt ins Casino sperren ließ. Sogar ihr geliebtes Haus in der Normandie, das sie sich von einem Gewinn gekauft hatte, musste sie am Ende aufgeben. Vor einem Jahr, schon schwerkrank, wurde sie wegen Steuerhinterziehung in der "Elf"-Affäre zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Francois Mitterrand gehörte zu ihren engsten Freunden, aber vom Mai '68 behielt sie nur in Erinnerung, dass die Studenten im besetzten "Odéon" ihr damals vorwarfen, im Ferrari vorgefahren zu sein, und sie per Mikrofon konterte, es handle sich um einen Maserati.

Bis in die späten neunziger Jahre arbeitete sie trotz ihrer Exzesse und trotz angeschlagener Gesundheit mit erstaunlicher Disziplin weiter. Ihr Schaffen umfasst mehr als vierzig Romane und Theaterstücke, Filmdrehbücher und Memoirenbände; zuletzt erschien "Derrière l'épaule", unter dem Titel "Mein Blick zurück" ins Deutsche übersetzt. Als am Wochenende bekannt wurde, dass Françoise Sagan im Krankenhaus von Honfleur an einer Lungenembolie gestorben war, hatte so manch ein französischer Buchhändler peinlicherweise keines ihrer Werke vorrätig.

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