Zum Tod von Claude Simon:"Ein Schriftsteller schreitet auf Flugsand"

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Er galt als Hauptvertreter der Gattung des "nouveau roman": Mit seinen Romanen wollte der französische Schriftsteller nichts erklären, sondern etwas zeigen.

Bis zu seinem erst am Wochenende bekannt gewordenen Tod am vergangenen Mittwoch im Alter von 91 Jahren blieb er dem autobiografischen Charakter seiner Werke treu. Im Frühjahr 2002 kam sein Roman "Die Trambahn" auf den deutschen Markt.

Das Buch führt in eine Kindheit im frühen 20. Jahrhundert, nach Perpignan. Dort verbrachte der 1985 mit dem Nobelpreisträger geehrte Autor zeitlebens die Sommer- und Herbstmonate als Winzer.

Der Schriftsteller mit den stahlblauen Augen wurde in Tananarive auf Madagaskar als Sohn eines französischen Berufsoffiziers geboren. Als er noch nicht einmal ein Jahr alt war, starb sein Vater, mit elf Jahren verlor er auch die Mutter. Als Vollwaise wuchs er bei Verwandten im südfranzösischen Perpignan auf. Eigentlich sollte er Ingenieur werden, aber ihn zog es zur Malerei. Sein Lehrer war der Kubist André Lhote, sein damaliger Lieblingsautor Marcel Proust.

1936 ging Simon nach Spanien und kämpfte auf der Seite der Republikaner. Während des Zweiten Weltkriegs geriet er in Gefangenschaft, konnte aber fliehen und tauchte in Perpignan unter.

Erst nach Kriegsende begann er zu schreiben. "Der Falschspieler" (Le Tricheur) erschien 1945. Zwei Jahre später veröffentlichte er "Das Seil" (Das Seil) und 1960 sein wohl bekanntestes Buch "Die Straße in Flandern" (La route des Flandres), das von der militärischen Niederlage Frankreichs 1940 handelt.

Seine Kriegserfahrungen spielen in seinen Werken eine große Rolle. Immer wieder geht es darin um Tod und Zerfall, denen nur die Kraft der Erinnerung und der Imagination etwas entgegensetzen kann. Simon war bekannt für seine Zurückhaltung. "Ein Schriftsteller schreitet auf Flugsand", bekannte er einmal.

Für seine "Geschichte" (Histoire), die einen gewöhnlichen Tag im Leben eines jungen Mannes erzählt, erhielt er 1967 den französischen Avantgarde-Preis "Medicis".

Seinen Werken fehlt oft eine chronologische Handlung, lange Passagen bestehen aus inneren Monologen und Beschreibungen. Simons Bilder- und Sprachenwelt ist voller Klarheit, Schärfe und Überfülle. Simon wollte seinen Romanen nicht mehr die Rolle geben "etwas zu erklären, sondern zu zeigen" und "nichts auszudrücken, sondern zu entdecken".

Ende der Traditionen

In ihnen sind Erinnerungen und Visionen miteinander verwoben. Dabei kehrte der Autor sich radikal ab von traditioneller Handlung, einem Helden, erklärender Psychologie und chronologischer Zeitfolge. Mit all dem wurde Simon ein typischer Vertreter des "nouveau roman", einer zu Beginn der 50er Jahre von Kritiker Roland Barthes so benannten Richtung der französischen Literatur, die Alain Robbe-Grillet dann zum literarischen Markennamen prägte.

Die Schwedische Akademie, die Simon 1985 mit dem Nobelpreis für Literatur auszeichnete, würdigte ihn als einen Künstler, der "in seinen Romanen das Schaffen eines Dichters und Malers mit vertieftem Zeitbewusstsein vereint in der Schilderung menschlicher Grundbedingungen".

Der 1989 veröffentlichte, stark autobiografische Roman "Die Akazie" (L'Acacia) gilt als ein Meisterwerk der Antikriegsliteratur. Er beschreibt eine Reise mit Mutter und Tante durch das verwüstete Frankreich des Jahres 1918 auf der Suche nach dem Grab des gefallenen Vaters.

Simon, der lange Schaffenspausen einlegte, lebte abwechselnd in Südfrankreich und inkognito in Paris in der Nähe des botanischen Gartens "Jardin des Plantes". "Ich bin ein alter Mann, und mein Leben war reich", konstatierte er viele Jahre vor seinem Tod. In seinen Memoiren "Jardin des Plantes" (1997) spann der Autor diesen Faden weiter: "Ich befand mich im Auge des Zyklons", schrieb er dort.

Er habe mehr Glück als andere gehabt, und das mache ihm am Ende seines Lebens Angst.

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