Zum Ende der Frankfurter Buchmesse:Das Leise und das Laute

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Vom Bürgerschreck zum Kulturkonservativen: Schriftsteller Feridun Zaimoglu spaziert über den türkischen Pavillon der Buchmesse - und beklagt die Überpräsenz der aufgeklärt-säkularen Türkei.

Ijoma Mangold

Helge Malchow, Verleger des Kiepenheuer und Witsch Verlages in Köln, erzählt von einer türkischen Delegation, die ihn vor der Buchmesse besucht habe. Er habe ihnen das Verlagsprogramm vorgestellt und bemerkt, dass die Damen und Herren immer aus dem Fenster schauten, sowie er auf seine deutsch-türkischen Autoren zu sprechen kam. Als würden sie diese weder als Türken noch als Deutsche akzeptieren.

Feridun Zaimoglu beim Spaziergang über den türkischen Pavillon der Buchmesse (Foto: Foto: Regina Schmeken)

Umgekehrt, fährt Malchow fort, wundere er sich immer, dass seine deutsch-türkischen Autoren ihm nie Tipps über zu entdeckende türkische Bücher geben würden. "Es gibt da", fasst er zusammen, "keine Form der produktiven Kommunikation."

Einer der wichtigen Protagonisten der deutschen Gegenwartsliteratur ist Feridun Zaimoglu. 1964 geboren kam er als kleines Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Berühmt wurde er Mitte der neunziger Jahre als zorniger Jungtürke, der seine "Kanak Sprak" zu einer Dichtersprache voll Aggression und Poesie machte.

Man muss diese Anfänge immer mithören, auch wenn Zaimoglu sich davon längst wegbewegt hat. Er ist Kiepenheuer-und-Witsch-Autor. Schnappen wir ihn uns doch und schlendern mit ihm über den türkischen Pavillon auf der Buchmesse: Was er wohl dazu sagt?

Auf jeden Fall, wie sofort festzustellen ist: sehr viel. Zaimoglu ist ein kommunikatives Naturell, aber diesmal ist es, als sei ein Schleusentor geöffnet worden. Wir haben den Pavillon noch lange nicht erreicht, da sprudelt es schon aus ihm heraus - in diesem wunderbar-eigentümlichen, suadahaften Zaimoglu-Ton, die Preisgesang und Verdammungsrede, Commedia dell' arte und Poesie zugleich ist.

"In der Kunst des Remake sind die Türken weltweit spitze", legt er los. "Du musst Dir gleich die türkischen Frauen anschauen. Sie tragen alle grüne oder blaue Kontaktlinsen, und ihre Haare sind blondiert. Aber es hilft nichts: Knallhart wächst es pechschwarz an den Haarwurzeln wieder nach."

Vor dem Eingang zur Messehalle ist es genauso, wie Zaimoglu sagt: "Der Weg nach Westen geht in der Türkei über die Schönheitschirurgie. Die säkulare türkische Frau erkennt man an ihrer Pekinesennase. Das nennt man Ethnochirurgie." Tatsächlich trippeln lauter Damen mit kupierten Nasen vorbei. "Nun kann die aufgeklärte Türkin", lästert Zaimoglu weiter, "ihr Näschen gar nicht mehr rümpfen über die bäuerlichen Barbaren aus Anatolien, weil sie nämlich ein Näschen gar nicht mehr hat!"

Aber das ist keine Äußerlichkeit. Was Zaimoglus Groll hervorruft, ist etwas, das damit unmittelbar zusammenhängt: Dass nämlich jene aufgeklärt-säkulare, "kritische" Türkei allein das Bild des Landes auf der Messe bestimmt und die traditionelle Türkei völlig von der Bühne verdrängt. Erst verstehen wir nicht genau, was Zaimoglu meint, denn er wählt für diesen Gegensatz ganz andere Worte. Er sagt stets: Nur die Lauten hätten hier ihren Auftritt, während die Leisen nicht zu hören seien.

Die Lauten, dämmert uns dann langsam, das sind jene Schriftsteller mit politischer Botschaft, die das Kopftuch verteufeln und die, wie sie meinen, repressive Türkei lauthals kritisieren. Dabei habe die Regierung sich überhaupt nicht in die Autorenauswahl eingemischt, also tatsächlich vorbildliche Zurückhaltung geübt, sagt Zaimoglu. Eine kemalistische Regierung hätte das nicht hingekriegt. "Die sind wirklich über ihren Schatten gesprungen." Als Orhan Pamuk bei der Eröffnungsrede Kritik an der Regierung geübt habe, sei ihm vom Staatspräsidenten applaudiert worden.

"Autoren", sagt Zaimoglu, "werden nur Ernst genommen, wenn sie jene Schlachten führen, die auch hier für wichtig gehalten werden. Wenn der Autor laut provoziert, dann ist er wohlgelitten. Am Besten er beklagt Demokratiedefizite. Ein türkischer Autor hat sich zu legitimieren über ein hohes Maß an Material, das empören soll. Aber das ist kein ästhetischer Maßstab - und deshalb ist so viel Kunsthandwerk auf die Messe eingeladen worden."

Und in der Tat, wo immer auf der Messe ein Panel mit türkischen Autoren bestückt ist, geht es meist um Ehrenmorde, Kopftuchfrage oder Meinungsfreiheit und irgendwer fordert wichtigtuerisch: "Die Polizeistationen müssen raus aus unseren Köpfen."

Die schöne, schwarze Sehnsucht

Die Leisen aber, das sind die, die eine alte orientalische Form der Feinheit pflegen, in der Traurigkeit und Humor sich ergänzen. "Sie bilden", sagt Zaimoglu, "keine Gruppe. Dazu sind sie zu traurig. Ich nenne sie auch die konservativen Humanisten. Sie sind Moslems, aber der Glaube ist nur ein Teil. Sie blicken die Welt anders an. Sie glauben nicht, dass alles Neue toll ist. Sie halten die Volkskunst nicht für lächerlich. Sie finden, man soll dem Menschen nicht Gewalt antun. Deshalb nenne ich sie Humanisten. Sie reden in Zimmerlautstärke. Sie und ihre schöne, schwarze Sehnsucht vermisse ich auf dieser Messe."

Da begrüßt ihn ein Journalist des Hessischen Rundfunks. Man küsst sich herzhaft auf die Wange mit deutlich hörbarem Schmatz. Auch er hat türkische Wurzeln. Wir wollen wissen, ob er Zaimoglus Groll nachvollziehen kann. Er lächelt, macht eine leicht moderierende Handbewegung und sagt: "Klar, wenn es heißt Islam, ist die Bude voll. Für die literarischen Lesungen interessiert sich keine Sau. Warum erkennt niemand, wie großartig etwa Murathan Mungan ist!"

Für Murathan Mungan, dessen archaische Motive aufgreifender Roman "Tschador" gerade im Blumenbar Verlag erschienen ist, und der in der Türkei ein gefeierter Schriftsteller ist, schwärmt auch Zaimoglu. Im übrigen sei die türkische Prosa bei weitem nicht auf dem Niveau der türkischen Poesie: "Das ist wahrlich Weltdichtung. Leider wurden die Dichter kaum eingeladen. Man wollte wohl möglichst europäisch wirken."

Mittlerweile haben wir den Pavillon betreten. Zu sagen, er sei atmosphärisch neutral, ist noch freundlich. Stellwand reiht sich an Stellwand. Sehr funktional, aber ohne jeden Zauber. "Wie eine Montagehalle", sagt Zaimoglu, winkt ab und fährt in seinem Redefluss fort: "Alle reden immer nur vom orientalischen Despotismus.

Aber es gibt auch eine ganz andere orientalische Tradition: Die der Liebenswürdigkeit. Die Tradition, im Anderen den schönen Menschen zu sehen. Das Wissen: Es gibt einen Herrn da oben (und Zaimoglu zeigt durch die Messehalle hindurch zum Himmel) und ich bin sein Knecht. Wie soll ich mich da aufplustern?! Die Demut und das Erbarmen sind schöne, leise Tugenden."

"Mein Lieber", sagen wir, "Du bist ja ein richtig reaktionäres Geschütz!" "Ich", sagt Zaimoglu, "oute mich gerne als Kulturkonservativer." Dabei habe er doch selber einmal als ziemlich lauter Krakeeler und Bürgerschreck begonnen? "Ja, ich galt als wilder Hund und war selbst immer verwundert: Hört denn niemand das Hohe Lied heraus? Die Klage über den abwesenden Gott? Das war keine Anklage gegen die Gesellschaft - welch großes Missverständnis!"

Zaimoglus Stimme moduliert einen Singsang, dass auch die kernigsten Sätze, die er vorträgt, nicht wie Parolen, sondern wie sehnsüchtige Verse klingen, die aber jederzeit quecksilbrig in ein ansteckendes Lachen übergehen können.

Die letzten Barbaren

Inzwischen sind wir vor einer Schautafel angekommen, die Fotos von Hirten zeigt. Sie tragen Bauernkäppi und einen Hirtenüberwurf. "Das mag ich", sagt Zaimoglu - und beginnt, die unterschiedlichen Bartformen der Hirten zu beschreiben: Hier der traditionelle Schnauzer, dort die Clark-Gable-Linie, die wie ein Bleistift auf der Oberlippe liegt: "Die haben sich an alten amerikanischen Filmen orientiert", sagt Zaimoglu schmunzelnd.

Wir wollen wissen, wie das Verhältnis ist zwischen den Deutsch-Türken hier und den Türken in der Türkei. Welch umständliche Formulierung. Zum Glück weiß Zaimoglu Abhilfe: "Die Festlandtürken interessieren sich nicht für uns Deutschländer. Die blicken auf uns herab. Wenn die Festlandtürken im Fernsehen Türken in Deutschland sehen, dann stöhnen sie auf: ,Wie sehen die denn aus! Ausgerechnet im Herzen Europas führt Ihr Euch auf wie die letzten anatolischen Barbaren. Ihr schadet unserem Ruf."

Da kommt Celil Oker, ein türkischer Krimiautor, den Zaimoglu verehrt, und dessen Bücher auf Deutsch im Unionsverlag erscheinen. Lautes Schmatzen: "Immer diese türkische Knutscherei", sagen die beiden und lachen. In Okers Krimis würde man etwas von der Stimmung finden, die er so vermisse, meint Zaimoglu.

Wir verlassen den Pavillon. Was für ein Rederausch. Zaimoglu ist bester Stimmung. Zum Schluss erzählt er noch, dass er Christian Kracht, der auch bei Kiepenheuer und Witsch verlegt ist, zu dessen neuem Roman gratuliert habe. Darauf habe dieser ihn umarmt und gesagt: "Wir sind doch Waffenbrüder." Und er, Zaimoglu habe geantwortet: "Ich habe nie daran gezweifelt."

© SZ vom 20.10.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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