Zeitgenössischer Tanz:Die Ermordung Robert Kennedys

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Spannung ist nicht gleich Spannung: Nicole Peisls "Vielfalt I & II" und VA Wölfls "von mit nach t: No 2" beim Festival Dance

Von Sabine Leucht, München

Zwei Frauen sitzen auf Stühlen nebeneinander. Ihre Verkabelung ist professionell, ihr Ton privat. Nur Brocken ihrer Unterhaltung dringen zum Zuschauer durch: "Oberfläche", "Mitte", "das Weite", "integrieren": klingt esoterisch, sieht aber ganz bodenständig aus. Und das ist erst mal gut. Doch bis eine der beiden ein paar Schritte in den Raum hinaus macht, dauert es eine Weile. Dann gibt es einen linkischen Paartanz-Zusammenkomm-Versuch ohne Koordination und Führung, aber mit viel verbaler Verständigungsmasse ("gut?", "fast gut" "nicht ganz"). Klar: Weil es hier um den Entstehungsprozess einer Performance geht und nicht um diese selbst. Aber nicht im Stil einer dem Publikum zugewandten Lecture, sondern eher von der Marke "Stilles Kämmerlein".

Nicole Peisl zeigt beim Festival Dance "Vielfalt I & II" als vom Pathos München mit initiierte Uraufführung, wobei "Vielfalt I" schon 2010 im Auftrag der Forsythe Company für Motion Bank entstand. Im Schwere Reiter hängt der 40-Minüter am kürzeren neuen Teil dran, den Peisl selbst mit der Tanzdramaturgin Johanna Milz bestritt. Hier beginnt Elena Giannotti damit, ein zwischen Hand und Fuß verspanntes Seil zu zupfen und torkelt später mit merkwürdig versteiften und immer eigensinniger agierenden Beinen über die Bühne. Während "Vielfalt II" aufgrund seiner Intimität (und Kürze) für sich einnimmt, hat "Vielfalt I" das mit Seilen, Blicken und Muskeltonus wieder und wieder variierte Thema Spannung allzu bald erschöpft. Mag sein, dass die ehemalige Forsythe-Tänzerin, die sich in den vergangenen Jahren mit körperorientierten Traumatherapie-Praktiken auseinandergesetzt hat, viel Gehirnschmalz in die Mikrostrukturen des Haltens und Verharrens investiert hat. Doch diese halb auf die Binnenbeziehung der Performer und halb schon auf Wahrnehmungsmanipulation schielende Arbeit ist überraschenderweise um vieles fader als der radikalere Versuch, sich ganz im Zwischenmenschlichen einzukapseln.

Dass Nicole Peisl es auch bewegter kann, hat sie bei ihrer Seil-Choreografie bei der für Dance kreierten Ausgabe der Gärtnerplatz-Soap "Minutemade" bewiesen. Wie es mit wenig Bewegung trotzdem spannend wird, zeigte der rebellische Alt- und Redundanzmeister VA Wölfl, der früher schon auch mal für lähmende Langeweile zuständig war. Der über Siebzigjährige ist ein Bewegungsverzögerer, -anhalter und -zerleger sui generis. Vor rund 30 Jahren hat Wölfl in Frankfurt seine Kompanie "Neuer Tanz" gegründet und ist mit "Von mit nach t: No 2" nach längerer Zeit wieder in München. Der Abend mit dem kruden Titel schreibt das Thema Abkupfern groß - wie immer bei der Bildenden Kunst. Da wird ein halbiertes Auto an die Wand gehängt, und es wird beim eigenen Œuvre, Choreografenkollegen und Showformaten gewildert. Songtexte aus den Achtzigern werden geplündert (zum Beispiel von Depeche Mode), Performern werden fremde O-Töne in den Mund gelegt. Sie tragen Gebetbücher und Pistolen in den Händen und scheinen manchmal ratlos zwischen den Handlungsoptionen zu wanken: James Bond? Oder doch Heiliger Krieg?

Interpretieren sollte man bei VA Wölfls Choreografien nicht viel. Nur schauen. Unter tunlichster Vermeidung tänzerischer Wow-Momente (man verharrt kollektiv im Ausfallschritt, verheddert sich in Kabeln, untersucht die Bewegungsmöglichkeiten weicher Knie) kreieren ein Dutzend Performer etliche optische Reize, während es akustisch meist kakofon zugeht. Mikrofone brennen in dem nach oben (und vorne) offenen weißen Bühnenwürfel, der in den monochromen Farbstimmungen erglüht, die Le Corbusier Anfang der Dreißigerjahre für eine Tapetenfirma entworfen hat. Hier stellt Wölfl mit Performern in Brautkleidern, riesigem Meterstab und ganz viel Zeit die Ermordung des US-Senators Robert Kennedy von 1968 nach, wobei die Verschiebungen dieser berückend schönen lebendigen Skulptur eher mit dem Millimetermaß gearbeitet sind. Hier lässt man sich Körper und Stimmen auf einem Rüttelbrett durchschütteln, bespricht die Vorzüge des Cha-Cha-Cha - und eine sehr blumig gekleidete Japanerin, die immer wieder allein durch die Szene trippelt, krächzt am Ende wie Benoît Lachambre beim Festivalauftakt vor einer Woche.

Das ist Kunstpersiflage und absurdes Theater, dargebracht mit unheiligem Ernst, von latenter Hysterie unterlegt - und oft sehr lustig. Wölfl provoziert auch - unter anderem mit zwei Glitzerkleiderträgerinnen, die nichts anderes zu tun haben, als die Bühne zu flankieren. Und bei der anschließenden Diskussion, wo er den unintellektuellen, absichtslosen Auskunftsverweigerer gibt. Das ist auf befremdliche Art aus der Zeit gefallen, aber die aktuelle Arbeit dieses ewigen Avantgardisten tut dem Festival, in dem bislang auch große Namen weit hinter den Erwartungen zurückblieben, nur gut.

© SZ vom 18.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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