Wotan Wilke Möhring:Gesellschaftsunfähigkeit ist gut für den Beruf

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Wotan Wilke Möhring über seine erste Rolle als Psychopath, seinen Marktwert und die Spießigkeit von Punkern.

Antje Wewer

Der Schauspieler Wotan Wilke Möhring, 42, spielt meist hemdsärmelige Kumpeltypen. Bei Bella Block ist das nun anders. Sein Holger Thom ist ein verdruckster, stiller Gewalttäter, der nach langer Haft frei- und seinem früheren Opfer wieder unheimlich nahe kommt.

Wotan Wilke Möhring als Holger Thom: ein verurteilter Mörder, der nach 17 Jahren Haft eine zweite Chance bekommen soll. (Foto: Foto: ZDF)

SZ: Herr Möhring, im Samstagabendkrimi Vorsehung spielen Sie einen Psychopathen. Zuhause vor dem Fernseher bleiben oder doch lieber ins Kino gehen und Sie in Männerherzen anschauen?

Wotan Wilke Möhring: Zuhause bleiben. Für die Folge von Bella Block lohnt es sich auf jeden Fall. Das Fernsehen ist ja sowieso oft viel besser als sein Ruf. Es fordert den Zuschauer, das Kino will meist die Masse unterhalten. Das Drehbuch von "Vorsehung" war schon irre gut. Die pensionierte Bella will einen Mord verhindern, von dem niemand weiß, ob er jemals verübt wird. Eigentlich passiert in dem Film zunächst nicht viel, trotzdem ist da diese Angst, dass etwas Schlimmes geschehen könnte.

SZ: Die Angst geht von Ihrer Figur aus. Was ist das für ein Typ?

Möhring: Holger Thom ist ein verurteilter Mörder, der nach 17 Jahren Haft eine zweite Chance bekommen soll. Ein in sich gekehrter Psycho, eine Rolle, die mir normalerweise nicht gleich zugeordnet wird. Ich spiele ja sonst eher die physischen Typen. Der Roland in Männerherzen ist zum Beispiel so einer, der sofort ausflippt, wenn ihm einer blöd kommt. Der Holger Thom in Vorsehung ist genau das Gegenteil. Seine Gefährlichkeit ist verklemmt und steckt im Kopf. So einen verkrampften Menschen zu spielen, war eine echte Herausforderung. Ich musste anders gehen und habe anders gesprochen. Eher langsam und mit vielen Pausen.

SZ: Stimmt, Sie nuscheln da gar nicht.

Möhring: Das mache ich nur privat. Besonders wenn ich müde bin. Dann hört man auch, dass ich aus dem Ruhrpott komme. Wenn ich spiele, verschwindet das alles. Um Holger Thom zu werden, helfen auch äußere Dinge, wie der spießige graue Anorak, die Kassengestellbrille und die klobigen Schuhe.

SZ: In einer der besten Szenen tanzen Sie alleine zu Technomusik in der Küche.

Möhring: Die stand so eigentlich nicht im Buch, der Regisseur Max Färberböck hat sie sich erst am Set ausgedacht. Durch den stakkatoartigen, verkrampften Tanz erfährt der Zuschauer all das, was er schon vermutet hat. Für einen Moment bricht das Unterdrückte aus ihm heraus, und wir sehen wie kaputt es in seinem Inneren ist.

SZ: Wie tanzen Sie privat?

Möhring: Lockerer. Überhaupt: Der Mann war mir in allem, was er macht, fremd. Er hat die Fähigkeit, wie ein Tier zu wittern. Noch bevor Bella Block sich bemerkbar macht, weiß er schon, dass sie im Haus ist. Das macht Angst, weil es fremd ist. Mich für so eine Rolle zu besetzen, dafür braucht es einen Regisseur oder Caster mit Mut. Einen, der sich sagt, den Möhring drücken wir mal durch, obwohl er auf den ersten Blick nicht passt.

SZ: Sind Sie nach mehr als zehn Jahren im Geschäft noch jemand, der in Redaktionen durchgedrückt werden muss?

Möhring: Eigentlich nicht. Aber bei dieser speziellen Rolle fallen einem zunächst andere Schauspieler ein.

SZ: Gibt es diesen Mut zu selten?

Möhring: Es liegt viel am Redakteur und an den Produzenten. Das ist das Nadelöhr, wo alles durch muss. Einen meiner ersten Erfolge hatte ich mit dem Film Hat er Arbeit. Einmal einen Arbeiter überzeugend gespielt, wird dir immer wieder ein Arbeiter angeboten.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Wotan Wilke Möhring erst mit 30 Jahren Schauspieler geworden ist.

SZ: Sehen wir deshalb immer die gleichen Gesichter?

Möhring: Nein. Eher, weil bestimmte Schauspieler ein Pfund haben, das sie auf der Besetzungsliste nach oben katapultiert: ihre Prominenz. Viele Produzenten denken, das nützt dem Film mehr, als wenn einer überzeugend spielt. Die gehen auf Nummer sicher.

SZ: Sind sie traurig, dass Sie diese Prominenz nicht haben?

Möhring: Klar bekäme ich mehr Angebote, wenn mein Marktwert höher wäre, aber nicht unbedingt die besseren Rollen. Je bekannter du bist, desto mehr Verantwortung lastet auch auf dir. Außerdem verlangen Hauptrollen oft eine moderatere Spielweise als extreme Nebenrollen. Da kann man mehr Gas geben.

SZ: Warum sind Sie eigentlich erst mit 30 Jahren Schauspieler geworden?

Möhring: Weil ich vorher anderes zu tun hatte! Als ich anfing, mich dafür zu interessieren, war ich für die Schauspielschule schon zu alt.

SZ: Bitte nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich denke bei Ihnen, Sie hätten kein Abitur.

Möhring: Doch, habe ich aber! Danach habe ich eine Ausbildung zum Elektriker gemacht und anschließend an der HDK in Berlin studiert.

SZ: Und, zu Ende studiert?

Möhring: Na klar, ich versuche immer alles zu Ende zu machen. Wenn Du einmal aufhörst, gewöhnst Du Dich daran und bringst nichts zu Ende.

SZ: Ist Ihnen der Karrierestart schwer gefallen?

Möhring: Ich war nie ein Shooting-Star. Aber ein Quereinsteiger, der gleich zu Anfang ziemliches Glück hatte. Seit Das Experiment mache ich beides, Fernsehen und Kino. Den Spagat zwischen beiden hinzubekommen, ist nicht immer so einfach. Man muss es gut dosieren, denn warum sollen die Leute für einen Typen ins Kino gehen, den sie ständig umsonst im TV sehen?

SZ: Ihr jüngerer Bruder Sönke ist auch Schauspieler. In "Vorsehung" hat er einen kleinen Auftritt. Dank Ihnen?

Möhring: So klein ist der Auftritt gar nicht. Er taucht anfangs und am Ende auf, eine schöne Klammer. Ich habe ihn vorgeschlagen. Es ist ja nicht einfach am Anfang einer Karriere, und ich helfe ihm, wo ich kann.

SZ: Wie waren Sie so als Teenager?

Möhring: Ich war Punk. Mein Vater hat das natürlich nicht gut gefunden, und so haben wir Dickköpfe ein Jahr lang am Tisch nicht miteinander gesprochen. Er konnte mit meiner Attitüde nichts anfangen, aber er hat es geduldet. Das rechne ich ihm im Nachhinein hoch an. Ich glaube wir waren uns einfach sehr ähnlich. Seit ich eine Tochter habe, kann ich viele Dinge nachempfinden, die meine Eltern für mich gemacht haben.

SZ: Was waren Sie für ein Punk?

Möhring: Mit Irokese, Springerstiefeln und kaputten Klamotten. Ich war politisch aktiv, schnorren fand ich aber scheiße. Wie kann man die Gesellschaft verachten und deren Krumen fressen? Als ich merkte, dass es auch bei den Punks Regeln gibt, verlor ich das Interesse.

SZ: Ein Beispiel, bitte.

Möhring: Punks dürfen nicht braun sein, die fahren nämlich nicht in den Urlaub! Wenn man so grundsätzlich Dinge verteufelt, ist man auch nur ein Spießer.

SZ: Und Schauspieler, was sind die?

Möhring: Gerne mal Sozialfälle, denn eine gewisse Gesellschaftsunfähigkeit ist gut für den Beruf. Das Besondere ist gefragt, Abgründe sollen sich auftun oder große Gefühle. Eine anstrengende Rolle zu spielen, harmonisiert meinen Alltag. Ich will dann gar nichts Wildes mehr tun, weil ich das im Film ausleben kann.

Bella Block: "Vorsehung", ZDF, Samstag, 20.15 Uhr.

© SZ vom 27.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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