Woodward:Freundschaft ist, wenn man trotzdem schreibt

Lesezeit: 5 min

Carl Bernstein und Bob Woodward stürzten einen Präsidenten und wurden in jungen Jahren zu Reporter-Legenden. Ein Buch beschreibt jetzt, wie sie "im Schatten von Watergate" weiterlebten.

Am 7. Mai 1973 stieg Benjamin Bradlee, der damals Chefredakteur der Washington Post war, auf einen Schreibtisch in der Redaktion und bat um Ruhe. Die Zeitung, teilte er mit, sei mit dem Pulitzerpreis für Außerordentliche Verdienste in der Kategorie Dienst an der Öffentlichkeit ausgezeichnet worden.

Star-Reporter Woodward (r.) und Bernstein (l.) (Foto: Foto: AP)

Jubel kam auf. Das Blatt hatte beim Pulitzerpreis-Direktorium ein Gesamtpaket aus Affärengeschichten, Leitartikeln und Karikaturen über den Watergate-Fall eingereicht. Also einen großen Teil der fulminanten Berichterstattung über einen dreckigen Anschlag auf die Demokratie.

Nach einem Einbruch im Juni 1972 ins demokratische Hauptquartier in Washingtons Watergate-Komplex hatte das Blatt in monatelangen Recherchen eine Verschwörung aufgedeckt, die direkt ins Weiße Haus führte, zum "Komitee für die Wiederwahl des Präsidenten" Richard Nixon. Der Fall löste in der Hauptstadt eine Art Stromstoß politischer und öffentlicher Leidenschaft aus; die Realität übertraf jeden Roman.

Kurz nach Bradlees Verkündigung stürmten die Lokalreporter Bob Woodward und Carl Bernstein, die bei der Enthüllung der Watergate-Affäre eine zentrale Rolle gespielt hatten, in sein Büro. Sie hatten gehofft, dass nur sie den Lorbeer für ihre investigative Arbeit bekommen würden und waren nun enttäuscht.

Bradlee, der so aussah und reden konnte wie sonst nur Chefredakteure in Kinofilmen aussehen und reden, wies die beiden Enthüller zurecht. Das Blatt habe eine Menge riskiert und sich weit aus dem Fenster gelehnt. "Niemand wird je vergessen, wer diese Storys geschrieben hat", sagte der Chefredakteur aber auch.

Bradlee hat Recht behalten. Nixon trat im August 1974 zurück. Seine Verfolger wurden zu Ikonen des Journalismus und zu Vorbildern für Generationen von Medienleuten. Ihre beiden Bücher über den Fall Nixon wurden Bestseller. Junge Leute stürmten die Journalistenschulen, die Alten zeigten für eine kleine Weile weniger Respekt vor dem Establishment.

Bereits ein Jahr nach Nixons Rücktritt wurde in den USA ein Verein für Investigative Reporters and Editors (IRE) gegründet, dem heute rund 5000 Journalisten angehören, weltweit der größte Recherche-Club. Die Verfilmung des Watergate-Falles mit Robert Redford und Dustin Hoffman (Die Unbestechlichen) im Jahr 1976 machte Woodward, Jahrgang 1943, und Bernstein, Jahrgang 1944, endgültig zu Stars.

Leben als Legende

Woodward und Bernstein waren noch sehr jung, als sie schon ganz oben waren und das Land von einer skrupellosen Führung befreiten. Wie lebt es sich danach als Legende?

Die amerikanische Journalistin Alicia C. Shepard, die Journalismus an der American University in Washington lehrt, hat ein 352 Seiten dickes Buch über das Leben der beiden Reporter "im Schatten von Watergate" geschrieben. Die Professorin hat jahrelang recherchiert, 175 Interviews geführt und Berge von Dokumenten gesichtet.

Darunter Original-Recherchematerialien, wie die vor fünf Jahren von der Universität Texas für fünf Millionen Dollar gekauften Dokumente von Woodward und Bernstein. 75 Kisten, gefüllt mit 250 vollgekritzelten Notizblöcken, getippten Notizen, Zeugenaussagen, Fotografien, Briefen, Buchfahnen und Artikelentwürfen.

Wer unter die Journalisten will, sollte das Werk lesen, bevor ihm in den meisten Redaktionen die Illusionen und Widerborstigkeiten ausgetrieben werden, und Zeitgeschichte sind die Geschichten allemal. Herausgekommen ist die Dokumentation eines Skandals, die Beschreibung einer oszillierenden Berufskultur und eine rührende Beziehungsgeschichte zweier sehr unterschiedlicher Männer:

Woodward, Yale-Absolvent, Marineleutnant, Pentagon-Mitarbeiter, Mitglied der Republikaner, hatte 1971 bei der Post als Polizeireporter im Nachtdienst begonnen. Freiwillig kam er auch tagsüber ins Büro, arbeitete also immer, und war überaus verlässlich. Er pflegte sich zu überfordern, weil er selbst dann noch hinterherzuhecheln glaubte, wenn er längst vor anderen einen Vorsprung hatte. Schreiben war nicht seine Stärke.

Bernstein, abgebrochener Student, Typ Straßenjunge, war clever, gerissen, etwas hochnäsig, ein Schürzenjäger und Schnorrer. Schreiben konnte er, zuverlässig war er nicht. "Geschichten, die er nicht besonders mochte, umtänzelte er, schob sie vor sich her, trödelte herum", sagt ein früherer Kollege.

Der fleißige Pingel und der faule, begabte Chaot wurden unfreiwillig ein Team in der Watergate-Affäre. Sie mochten sich anfangs nicht, aber es war gerade niemand anders da, der die erste Geschichte über den merkwürdigen Einbruch aufschreiben konnte. Sie blieben dran, wurden ein Team, das nur noch "Woodstein" oder "die Jungs" hieß.

"Katie Grahams Titten"

Die Herausgeberin der Post, Katharine Graham, spornte die jungen Reporter an und legendär ist der Satz, den der frühere US-Justizminister John M. Mitchell ins Telefon schrie: Er drohte, "Katie Grahams Titten" würden "durch die Mangel gedreht". Die Dame blieb unbeeindruckt.

Die Fragetechniken der Reporter, ihre Zweifel, die Erfolge, die Misserfolge, ihre Paranoia - all das findet sich in dem Buch, und mancher Dialog war dann doch ganz anders als im Film, der bei vielen Außenstehenden das Bild der Watergate-Affäre geprägt hat. Auch finden sich schöne Passagen über das elitäre White House Press Corps, das so jämmerlich versagt hat.

Diese Journalisten pflegten aufzutreten, als seien sie das Weiße Haus persönlich (verglichen mit ihnen sind die Berliner Parlamentsberichterstatter nette Laubsägenbastler). Natürlich kannten die vom Press Corps niemanden bei der Polizei, und sie klingelten auch nicht, wie die Straßenschnüffler Woodward und Bernstein, abends nach Feierabend bei potenziellen Informanten an der Tür. Als "kultivierte Stenografen" mit einer "obszönen Vorliebe für die offizielle Version" hat der junge Woodward sie kritisiert.

Natürlich kommt in dem Buch in vielen Wendungen der geheimnisvolle Informant aus der Tiefgarage vor, der in der Redaktion nur "Deep Throat" genannt wurde und der Woodward im Halbdunkel immer wieder auf die Spur gebracht haben soll. Mehr als dreißig Jahre danach hat er sich selbst enttarnt: "Ich bin der Typ, den sie Deep Throat nannten", sagte im Sommer 2005 der frühere FBI-Vizechef W. Mark Felt dem Glamour-Magazin Vanity Fair.

Das späte Coming-Out des Informanten beschleunigte das Projekt der Journalistin Shepard erheblich. Detailliert beschreibt sie, wie sich nach einem Buch über die letzten hundert Tage von Nixon (The Final Days) die Wege von Woodward und Bernstein trennten.

Woodward blieb der unermüdliche Rackerer, der Faktenhuber, der Fragenmann. Er arbeitet noch immer für die Post und produziert Bestseller in Serie: über die CIA, den Supreme Court, über die Präsidenten. Er ist ein geduldiger Zuhörer geblieben, der ungewöhnlichen Zugang zu den Mächtigen hat und die Welt wie ein Puzzle zusammensetzt. Er deutet nicht, er hält sich mit Fakten raus.

Intellektueller und Schönschreiber ist er nicht geworden. Der 65-Jährige hat reichlich Gegner. "Beim Schreiben dieses Buches ist mir klar geworden", sagt Shepard, "dass Woodward inzwischen weitaus umstrittener ist, als er es jemals zu Watergate-Zeiten war".

Zwischen Klatschspalten und Establishment

Drei Bücher hat er über George W. Bush geschrieben. Bush at war - Amerika im Krieg war eine Lobpreisung des Mannes, der die Terroristen jagte. Das zweite (Plan of Attack - Der Angriff) war eine Mischung von Bewunderung und Skepsis, das dritte (State of Denial - Die Macht der Verdrängung) drehte sich um den Präsidenten, der die Realität wegschiebt.

Das Weiße Haus machte dicht, Woodward bekam keinen Zugang zum Präsidenten. Aber ist er nicht selbst längst Teil des Establishments?

Bernstein war zeitweise nur noch in den Klatschspalten präsent. Sein Gastspiel als Leiter des Washington-Büros des Fernsehsenders ABC scheiterte ebenso wie andere Engangements.

Seine wilden Beziehungsgeschichten lieferten Klatschkolumnisten Stoff. Eine seiner drei Ehefrauen hat ihn öffentlich eine "Ratte" genannt und die Geschichte der gescheiterten Ehe zu einem wenig verhüllten Schlüsselroman verarbeitet, der auch als Film (Sodbrennen) in die Kinos kam. Er soff, hatte ständig Geldsorgen, wurde dick.

Drei Bücher hat er noch geschrieben. Das eine über einen Papst, das andere über seine Eltern, das letzte über Hillary Clinton. Seine stilistische Eleganz unterscheidet sich immer noch von der Faktenwut seines Mitenthüllers Woodward.

Schön sind die Geschichten über die Freundschaft, die über all die Jahre blieb. Bernstein verteidigt bedingungslos den Kumpel Woodward, wenn der wieder mal angegriffen wird: "Es gibt Dinge, die nur wir beide verstehen", hat Bernstein 2003 der Autorin des Buches gesagt, das in der deutschen Übersetzung viele liederliche Fehler aufweist, aber dennoch lesenswert bleibt.

Alicia Shepard: Woodward und Bernstein - Leben im Schatten von Watergate, 352 Seiten, Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2008, 22.90 Euro.

© SZ vom 10.05.2008/bavo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: