Werner Schroeter gestorben:Der magische Realist

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Werner Schroeter, ausgezeichneter Film- und Theaterregisseur, wurde frenetisch gefeiert, obwohl viele seiner Arbeiten auf Unverständnis stießen. Er starb wenige Tage nach seinem 65. Geburtstag.

Bernd Graff

Man war nicht immer freundlich zu Werner Schroeter. Die SZ etwa besprach die Theaterpremiere von Koltès Quai West an der Berliner Volksbühne vom März 2010 unter dem Titel: "Quäl West". Lautstark artikulierte das Düsseldorfer Premierenpublikum Unverständnis über seinen König Lear. Das war 1990. Ein Jahr später verstand dort auch niemand seinen Totentanz. Wohl auch eher keinen Zugang fand die FAZ zu seiner Interpretation von Albert Camus' Caligula aus dem Jahr 1994. "Trotz der überzeugenden Bilder" sei das eine "eher spektakuläre und schwerlastende 'pathétique'" gewesen "denn eine auf Reduktion, Konzentration, Verschärfung und Zuspitzung angelegte Arbeit".

So ging das eigentlich immer, wenn der am 7. April 1945 im thüringischen Georgenthal bei Gotha geborene Sohn eines Ingenieurs irgendwo (meistens in Europa) irgendwas künstlerisch bearbeitete und inszenierte. Zerarbeitete wäre wohl besser: Denn Schroeter vertiefte sich jeweils in seinen Stoff, durchlebte ihn intuitiv und fand oftmals bombastische (auch bombastisch übertriebene) Bilder für seine Visionen.

Schnell zählte er deshalb zu den umstrittensten deutschen Theater- und Filmemachern. Ab Anfang der siebzigerJahre arbeitete er an größeren Bühnen. Ab da rannte er auch in die Kritik. Vielen galt er "als Esoteriker" und als "Visionär des schlechten wie des guten Geschmacks" - so Die Welt 1988.

Er erzählte weniger als er montierte. Sein Stil und sein fast naiver Hang zum Melodramatischen, für das er Hoch- und Trivialliteratur frech mixte, fand aber auch aufrichtige Bewunderer. So nannte ihn Rainer Werner Fassbinder einmal den "wichtigsten, spannendsten, entscheidendsten sowie entschiedensten Regisseur eines alternativen Films", während andere ihn als "Meister der rasenden Gebärden und Exzesse" würdigten. "Schroeters Radikalität", so Karsten Witte in der Frankfurter Rundschau, liege in der "kontinuierlich gelungenen Versöhnung von produktionstechnischer Armut und produktionsästhetischem Reichtum".

Schroeter selber, der vor seiner Regisseur-Zeit Psychologie studiert und als Journalist gearbeitet hatte, beschrieb seinen Stil in der Zeit vor zwei Jahren als geprägt von "weit ausholenden tragischen Gesten, die ein Minimum an Inhalt ungeheuer aufblasen, pathetisieren, tragisch erscheinen lassen und ihm Bedeutung geben - das finde ich eben zur Erhellung der Realität interessanter als eine kleinliche Bemühung, sie psychologisch zusammenzupusseln".

Seinen 1971 entstandenen Film Der Tod der Maria Malibran bezeichnete er einmal als "sein Hauptwerk". Darin geht es um eine Operndiva des 19. Jahrhunderts, die auf offener Bühne starb, nicht unerwartet und im vollen Bewusstsein der Selbstzerstörung. Tragik und Pathos statt Psychologie und Logik schon damals.

1980 feierte er dann seinen größten persönlichen Erfolg mit "Palermo oder Wolfsburg". Seinen künstlerisch und kommerziell größten Erfolg, wohlgemerkt. Der Film erhielt auf der Berlinale 1980 den Goldenen Bären. Er erzählt vom Schicksal eines jungen Sizilianers, der die soziale Kälte der Bundesrepublik nicht erträgt, weil er "zum Leben etwas Wärme braucht" und "nicht artikulieren kann, woran er leidet".

Trotz dieses Erfolges wandte sich Schroeter, von den hiesigen Produktionsbedingungen abgeschreckt und frustriert, von Deutschland ab, um im Ausland, etwa auf den Philippinen, in Portugal und vor allem in Frankreich, zu arbeiten.

Erst 1990 kam er wieder und realisierte mit Malina nach dem gleichnamigen Roman von Ingeborg Bachmann wieder einen Spielfilm in Deutschland. Das Drehbuch dazu schrieb Elfriede Jelinek. Die Hauptrolle spielte Isabelle Huppert. Malina war 1991 der deutsche Beitrag am Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Beim Filmfestival von Locarno wurde 1996 Schroeters Film Poussières d'amour uraufgeführt, der den Preis der deutschen Filmkritik erhielt. Im Frühjahr 2000 begeisterte der Regisseur die Fachkritik mit seinem einfühlsamen Filmessay Marianne Hoppe - Die Königin mit und über Marianne Hoppe.

Auf der Theaterbühne entfachte Schroeter dieselben Höllenfeuer, die auch Bachmanns Malina erhitzten. Er galt als Provokateur und Meister des Kitschs, ein Mann, der mit viel Geld für die Produktion Opern genauso stemmte wie das Kammerspiel. Und manchmal das eine mit dem anderen verwechselte.

Kritische Äußerungen über Franz Josef Strauß sorgten 1980 dafür, dass ihm die Stadt Augsburg die Inszenierung der Richard-Strauss-Oper Salome entzog. Die von ihm vorgeschlagene Alternative Medea scheiterte dann an noch höheren Produktionskosten.

Im Jahr 2008 kehrte der mittlerweile an Krebs erkrankte Schroeter nach langjähriger Pause mit seinem Film Nuit de Chien zurück in die Kinos. Das Bürgerkriegsmelodram handelt von der Heimkehr eines Widerständlers in seine von Militärs terrorisierte Stadt, um seine Verbündeten und seine Geliebte zu finden. Die FAZ sah darin "das bewegende Alterswerk eines Mannes (...), der sich fragt, was im Angesicht des Todes zählt, und feststellt: Die Sehnsucht stirbt zuletzt".

Werner Schroeter ist jetzt seinem Krebsleiden erlegen, wenige Tage nach seinem 65. Geburtstag.

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