Werk der Wahl:Der Künstler als Hofnarr

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Die Filmemacherin Doris Dörrie taucht ein in die Bilder von Diego Velázquez

Ich bin aufgewachsen unter einem Bild von Velázquez, das als Druck bei meinem Großvater hing. Es ist das berühmteste überhaupt: "Las Meninas", die Hoffräulein. Dieses Bild habe ich als Kind oft angestarrt und mich immer sehr stark mit der kleinen Infantin identifiziert, die dort im Zentrum in einem weißen Kleid steht. Erst nach und nach ist mir überhaupt das andere Personal um sie herum aufgefallen: der Hund und die Kleinwüchsigen. Diese "Hofzwerge" gab es oft an den damaligen Herrscherhöfen, denn man schrieb ihnen besondere Fähigkeiten zu. Oft nahmen sie die Rolle des Hofnarren ein, aber sie waren weit mehr als nur Spaßmacher.

Der Hofnarr und wir Filmemacher haben ja eine ähnliche Funktion: Wir sollen möglichst unterhaltsam sein und gleichzeitig die Augen öffnen. Aber eben nicht so, dass man gleich einen Kopf kürzer gemacht wird. Das war ja immer das Risiko des Hofnarren. Wir als Filmemacher tragen dieses Risiko in übertragener Form auch: Dass wir plötzlich nicht mehr arbeiten können, weil wir so danebenliegen. Die Rolle des Hofnarren ist eine ganz entscheidende, denn ohne ihn erstickt der Hof auch an seiner eigenen Vorstellung von Bedeutung. Da jemanden an der Seite zu haben, der einen auch sticht und zwickt, der als Außenseiter auf Eitelkeit und Pomp und Lüge hinweist, ist wichtig. In unserer heutigen Zeit sind wir Künstler das. Wir Künstler sind die Hofnarren und müssen diese Rolle auch als solche begreifen.

Er hat Pomp, Lügen und Eitelkeiten im Blick: Diego Velázquez Bild "Hofnarr mit Buch auf den Knien" entstand zwischen 1636 und 1638. (Foto: Photographic Archive / Museo Nacional del Prado, Madrid)

In all den höfischen Bildern von Velázquez spielt der Hofnarr eine ganz besondere Rolle. Diese filmische Präzision, mit der er dieses höfische Personal gemalt hat, ist erstaunlich. Die Menschen scheinen oft gar nicht so recht zu wissen, wie sie wirken. Er hat sie so selbstvergessen porträtiert. Das interessiert mich immer wieder an Velázquez, auch als Filmemacherin: Wie die Menschen auf seinen Bildern einen anschauen, wer sie glauben zu sein, und was ich als Betrachter glaube, wer sie vielleicht wirklich sind. Eben auch dieser Hofnarr hier.

Da muss man genau hinschauen, um zu begreifen, dass er der Hofnarr ist. Denn wenn man ihm nur ins Gesicht sieht, nimmt man vor allem einen sehr ernsten, fast traurigen Menschen wahr. So ist es auch bei der kleinen Infantin und vielen anderen Bildern von Velázquez: Die Menschen schauen alle sehr ernst und sehr traurig. Und das hat mich schon als Kind sehr beschäftigt. Wie gefangen sie sind in ihren Rollen, in ihrem Kostüm, in ihrem Raum, in ihrer Rolle, ihrer Zeit.

Doris Dörrie ist Regisseurin und Schriftstellerin. Sie drehte u.a. die Filme "Männer", "Kirschblüten - Hanami" und zuletzt "Grüße aus Fukushima". (Foto: Dieter Mayr/oh)

Für mich als Filmemacherin gibt es da eine direkte Linie von Velázquez zu beispielsweise der amerikanischen Fotografin Diane Arbus, die Menschen sehr ähnlich porträtiert hat. Immer in ihrer Rolle, aber immer mit einem Ausdruck, der über ihre Rolle hinausgeht. Wir als Betrachter sehen, wer der Porträtierte sein möchte. Da gibt es Figuren, die hätten ganz bestimmt gerne eine kleinere Nase oder eine andere Figur oder wenigstens eine andere Frisur gehabt. Andererseits fanden sich viele der Porträtierten sicherlich schön so, wie sie dargestellt wurden. Aber das hat ja immer auch etwas Doppelbödiges, wie der Angehörige der Oberschicht beispielsweise wirkt oder wirken möchte und was wir sonst noch an Informationen bekommen.

Und das ist bei allen Bildern von Velázquez doppelbödig. Da gibt es Frauen, die tragen Kleider, die so unbequem wirken, dass sie sich sicher nicht in ihnen wohlfühlen. Das sind eher Rüstungen als Kleider. Das bedeutet natürlich gesellschaftlich sehr viel: Wie viel Rüstung müssen wir uns zulegen, um uns abzugrenzen von anderen, um klarzumachen, welche Rolle wir spielen, dass wir zur Oberschicht gehören? Das kann man ja auch heute schön beobachten. Diese Präzision des gesellschaftlichen Porträts ist etwas, was mich an Velázquez so begeistert. Zurbarán zum Beispiel hat das auch gemacht. Aber nicht ganz so klinisch erbarmungslos wie Velázquez. Zurbarán ist immer weicher. Doch er zählt ebenso wie Goya oder El Greco oder eben Velázquez zu meinen großen Helden der spanischen Malerei. Immer und immer wieder sehe ich mir die Werke dieser Künstler an. Das gehört für mich seit vielen Jahren dazu, wenn ich in Madrid bin. Auch deshalb vermittelt diese wunderbare Ausstellung hier so ein heimatliches Gefühl.

Ich gehe tatsächlich wegen meines Großvaters immer in den Prado, wenn ich in Madrid bin - was relativ häufig ist, weil fast alle meine Filme netterweise in Spanien laufen. Ich schaue mir dann immer das Original von "Las Meninas" von Velázquez mit der kleinen Infantin an und bin dann selbst wieder in meiner Kindheit in der Wohnung meiner Großeltern.

Spaniens goldene Zeit. Die Ära Velázquez in Malerei und Skulptur. Hypo Kunsthalle, bis 26. März; täglich 10-20 Uhr

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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