Weimar:Hier waren wir, und dies war unser

Lesezeit: 4 min

Es ist eine böse Ironie des Zufalls, dass möglicherweise ein Kurzschluss in der völlig veralteten elektrischen Anlage das Feuer verursacht hat. Der Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek: Viel mehr wurde zerstört als ein Haus und dreißigtausend Bücher.

Von Thomas Steinfeld

Am Anfang des klassischen Weimar stand eine Bibliothek. Sie steht noch heute, auf einem Hügel über der Ilm, ein paar hundert Meter südlich des Stadtschlosses, neben dem Fürstenhaus und wenige Schritte vom Markt entfernt, ein hohes, weißes Gebäude mit orangebraun abgesetzten Einfassungen für die Fenster. Sie hatte ein Mansarddach. Das Haus ist eine Schaubücherei.

Ihr Zentrum ist ein Saal, ein durch zwölf Pilaster gebildetes, von Büchern gerahmtes Oval, einundzwanzig Meter in der Länge, elf Meter in der Breite und zwei Galerien hoch. Das Licht fällt von beiden Längsseiten hinein, der ganze Raum ist mit Büsten und Gemälden, Leuchten und vergoldeten Kapitellen geschmückt. Ein ganzer intellektueller Kosmos wurde hier vorgeführt. Sein Glanz sollte auf den Mäzen zurückstrahlen.

In der Pracht lag Vernunft

Aber in der Pracht lag Vernunft. Noch das kleinste Detail dieses Arrangements verrät ein Bewusstsein davon, was es im achtzehnten Jahrhundert bedeutet haben muss, Bücher in eine Bibliothek zu tragen, in Weimar mehr als anderswo. Herzogin Anna Amalia, die Mutter von Carl August, Goethes Fürsten, war die Stifterin dieses Baus und dieser Bibliothek gewesen.

Sie war in Wolfenbüttel groß geworden, und im Geist des aufgeklärten Absolutismus entstand eine Bücherkirche des Rokoko, wie es in Deutschland, ja in der ganzen Welt keine andere gibt: ein Ort, wo dem Pilger der Gelehrsamkeit die Erhabenheit eines enzyklopädischen Ideals vor Augen geführt wurde.

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag ist ein großer Teil dieser Bibliothek niedergebrannt. Das Haus hat kein Dach mehr, der Okulus, die Decke des Rokokosaales, ist durchgebrochen, die dort angebrachten Gemälde sind vernichtet. Ein Teil der oberen Galerie fehlt. Decken, Wände und Säulen sind vom Löschwasser schwer beschädigt. Und so schlimm sich schon dies anhört - es ist noch schlimmer, weil der Bau seit Jahrhunderten ein Monument des Übergangs ist.

Er ruht auf schwachen Balken, er ist eine Architektur des Scheins, die man auf dünnen hölzernen Stangen und Bohlen in die steinerne Schale eines nutzlos gewordenen Baus setzte, mit Paneelen, die Marmor vortäuschen, und mit einem Licht, das hinter den Säulen einfällt, damit die Illusion des unendlichen Raums entsteht. Es wird unendlich schwierig, ja vielleicht unmöglich sein, das Zerstörte so zu rekonstruieren, dass der zarte Eindruck dieser genialen, stets beinahe hinfälligen Improvisation neu entsteht.

Bücher sind verbrannt, dreißigtausend an der Zahl, darunter viele von großem Wert: die Musikaliensammlung von Anna Amalia, die berühmte Bibliothek des Wittenberger Polyhistors Konrad Samuel Schurzfleisch aus dem frühen achtzehnten Jahrhundert, lauter Bücher und Blätter, die man nicht mehr wiederbeschaffen kann. Doch es ist nicht nur der Verlust der Bestände, der dieses Feuer zu einer Katastrophe macht. Diese Bibliothek war kein wissenschaftliches Unternehmen, sondern eine fürstliche Universalbibliothek, in der bis heute weitergesammelt wird.

Dreihundert Jahre Sammeln und Lesen

Da die persönlichen Sammlungen ihrer Mäzene nie in ihren einzelnen Teilen aufgelöst wurden, dokumentiert sie über mehr als dreihundert Jahre das Sammeln und Lesen in Weimar, des wichtigsten Ortes, den die deutsche Bildungsgeschichte hat. Denn Bildung war das Prinzip, das diese kleine Stadt in Thüringen zum Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens gemacht hatte, und Bildung heißt: auf der Höhe der Zeit gegen die Zeit zu arbeiten. Sogar die Verzeichnisse der Ausleihe sind erhalten. Nichts gibt es, was sich mit diesem lebendigen Denkmal vergleichen ließe.

Es hat nach der Wende lange gedauert, bis der intellektuelle Wert dieses Monuments verstanden wurde. Der größte Teil des historischen Stadtkerns von Weimar war schon für 1999, für das Jahr der europäischen Kulturhauptstadt, restauriert, als man erkennen musste, wie sehr die Anna-Amalia-Bibliothek in ihrer alternden, faulenden Substanz gefährdet war: Der Spitzboden war nur an wenigen Stellen begehbar, die Fundamente waren feucht geworden und in Richtung Fluss gerutscht, die Feuchtigkeit war von unten nach oben und von oben nach unten gezogen.

Und längst war die Sammlung so groß, dass nur noch ein Teil - und zwar vor allem der ursprüngliche, der historische - im ehemaligen "Grünen Schloss" untergebracht werden konnte. Angestoßen durch eine private Spendenkampagne, wurde schließlich mit einem Erweiterungsbau unter dem benachbarten Platz der Demokratie begonnen. Er hätte die Sammlung aufnehmen sollen, damit die eigentliche Bibliothek von Grund auf hätte renoviert werden können.

Fünf Wochen haben bis zu diesem Umzug gefehlt - es ist eine böse Ironie des Zufalls, dass möglicherweise ein Kurzschluss in der völlig veralteten elektrischen Anlage den Brand auslöste, der jetzt ganz andere Umzüge notwendig macht: Mindestens fünfzigtausend Bücher sind vor allem vom Löschwasser so beschädigt, dass sie sofort eingeschweißt und gefriergetrocknet werden müssen, damit man sie später einzeln und in mühevoller Kleinarbeit restaurieren kann.

Wer Weimar besucht, wer Bilder von Weimar gesehen hat, der kennt den prächtigen Saal der Anna-Amalia-Bibliothek. Schaut man den darin aufgereihten Büsten ins Gesicht und betrachtet die Gemälde genauer, erkennt man lauter alte Bekannte: Johann Wolfgang Goethe und seinen Herzog, Friedrich Schiller, Wieland und Herder, Anna Amalia und den ganzen Rest des Musenhofes. Diese Bücherkirche ist auch eine Ruhmeshalle.

In die Walhalla mochten nur Tote aufgenommen werden. Im Weimarer Lokalpantheon konnten die Benutzer der Bibliothek in ihr eigenes Abbild schauen. Weil sie in der Regel auch Schriftsteller waren, versammelte sich diese literarische Gesellschaft gleich dreifach in dieser Bücherei. Sie feierte ihr eigenes Gelingen, als Schmuck, aber auch als Vergewisserung für kommende Tage: Hier sind wir, und dies ist unser.

In Paris mochten die Enzyklopädisten einander jeden Abend im Café de la Régence treffen, debattieren und Schach spielen. In Weimar gab es keine Einheit von Ort und Kommunikation. An ihre Stelle traten der Brief und die Übersetzung, der Besuch und das Gespräch, vor allem aber die Bibliothek und eine Lektüre, die in vielen Sprachen zu Hause war.

Urbanität des Geistes

Das ermöglichte eine Urbanität des Geistes, eine Art von ambulanter Sesshaftigkeit, und keiner musste sich von seinem Amt entfernen und den Strapazen von Reisen aussetzen. Dass es so etwas einmal gab, dass so etwas möglich ist - das macht Weimar zum besten Ort der deutschen Geschichte und die Bibliothek zu seinem Zentrum.

Und wenn man schon dessen Gegenwart nicht mehr hat, so darf doch die Erinnerung daran nicht verschwinden.

Die Wiederherstellung der Bibliothek wird Zeit kosten, Arbeit und sehr viel Geld - berichtet wird von einem Schaden in Höhe in mindestens zehn Millionen Euro, aber in diesem Fall sind alle Summen fiktiv. Vier Millionen Euro hat Christina Weiss, die Staatsministerin für Kultur, sofort zur Verfügung gestellt. Reichen wird diese Summe bei weitem nicht. Wir werden dieser Bibliothek helfen müssen.

© SZ vom 4.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: