Weihnachtslied:Ein Herr Schmid, den Proust verehrte

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Der Literat Christoph von Schmid. (Foto: Staats- und Stadtbibliothek Augsburg)

Eine Ausstellung in Augsburg erzählt von Urhebern und Rätseln rund um "Ihr Kinderlein kommet"

Von Sabine Reithmaier

Text und Melodie sind weltberühmt, Autor und Komponist dagegen völlig vergessen - die Rede ist von "Ihr Kinderlein kommet", einem Weihnachtslied, das in seinem Bekanntheitsgrad höchstens noch von "Stille Nacht, heilige Nacht" übertrumpft wird. Die Verse stammen vom katholischen Geistlichen Christoph von Schmid, geboren 1768 in Dinkelsbühl, gestorben 1854 als Domherr zu Augsburg. Seinen 250. Geburtstag nahm die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek nun zum Anlass, sich auf eine gleichermaßen interessante wie vergnügliche Spurensuche zu begeben.

Ausgangspunkt der kleinen Ausstellung im Cimeliensaal ist das einzige, bislang nachweisbare Autograf des Liedtextes. In feiner Sütterlinschrift hat Christoph von Schmid die Zeilen aufs Papier gebracht und sicher nicht daran gedacht, dass der unscheinbare, bräunliche Zettel irgendwann einmal ausgestellt werden könnte. Sonst hätte er vermutlich die acht Strophen nicht so locker korrigiert, manche Wörter durchgestrichen, andere hinzugefügt. Ein Arbeitsblatt, ganz zweifellos.

Die Bibliothek hütet einen Großteil des Schmidschen Nachlasses; das kleine Blatt fand sich in einer ungebundenen Sammlung verschiedener Gedichte, vom Autor als "Kleinigkeiten in Reimen, dem blühenden Alter gewidmet" betitelt. Bislang war unklar, wann und wo Schmid die Verse geschrieben hat. Doch Bibliotheksleiter Karl-Georg Pfändtner ist es gelungen, die Entstehungszeit einzugrenzen. Zum ersten Mal wurden die Wasserzeichen auf dem Papier untersucht; dadurch gelang es, dessen Hersteller ausfindig zu machen: Den Babenhausener Joseph Hege, der das Papier frühestens 1803 und spätestens 1808 produzierte.

Gedruckt erschien der Liedtext erstmals 1811 in der zweiten Auflage der von Schmid herausgegebenen "Geistlichen Gesänge zur öffentlichen Gottesverehrung", mit denen er den deutschsprachigen Gemeindegesang fördern wollte. Da "Ihr Kinderlein kommet" in der ersten Auflage von 1807 fehlt, dürfte es nach 1807 und bis 1811 entstanden sein.

Christoph von Schmid war zu dieser Zeit in Thannhausen (Landkreis Günzburg), wirkte dort von 1796 bis 1816 als Schulbenefiziat und Kaplan. Obwohl er mit dem Schulbetrieb und der Seelsorge gut ausgelastet war, startete er dort seine literarische Karriere. Das mag übertrieben klingen angesichts der Tatsache, dass er heute so gut wie vergessen ist. Doch seine Erzählungen wurden in 24 Sprachen, sogar ins Arabische und Japanische übersetzt. Mit dem Schreiben begann er aus pragmatischen Gründen: Es mangelte an Unterrichtsmaterialien. Schmid konzentrierte sich zunächst auf Schulbücher, die er auf eigene Kosten drucken ließ, schrieb eine "Biblische Geschichte für Kinder", aber auch ein pädagogisch durchaus innovatives "Gottbüchlein". Für die Erstklässler begnügte er sich mit einsilbigen Wörtern, die älteren Schüler erhielten Texte mit zwei- und dreisilbigen Wörtern.

Richtig berühmt wurde er mit seinen Erzählungen, vor allem mit der "Genovefa" (1810) und den "Ostereyern" (1816). Die Autorenkollegen bewunderten seine Werke sehr. Friedrich Rückert rühmte "Die Ostereyer" 1816 im Stuttgarter Morgenblatt, schickte die Erzählung postwendend an seine Schwester Marie weiter.

Marcel Proust bevorzugte "Die Genovefa", doch auch Golo Mann und der spätere Papst Paul VI. lasen die Geschichten gern. Adalbert Stifter lobte, Schmid habe Geschichten geschrieben, die nicht nur Kinder, "sondern auch Erwachsene mit heißen Tränen und mit heiligen Gefühlen lesen". König Ludwig I. schrieb Schmid begeisterte Briefe und erhob ihn in den persönlichen Adelsstand als "Ritter des Civil-Verdienst-Ordens der Bayerischen Krone". Die Lieder, die Schmid in Thannhausen schrieb, vertonten seine ebenfalls dort arbeitenden Kollegen, der Kaplan Joseph Alois Singer oder der Lehrer und Organist Anton Höfer. Wer von den beiden die erste Melodie zu "Ihr Kinderlein kommet" schrieb, ist bislang nicht geklärt. Auf jeden Fall schuf keiner der beiden die Weise, die heute noch gesungen wird.

Letztere hatte Johann Abraham Peter Schulz längst geschrieben. 1747 in Lüneburg geboren, komponierte er Opern und Kantaten, Oratorien und Klavierstücke. Alles lang vergessen, im Gegensatz zu den Liedmelodien, die er zu Matthias Claudius' Gedicht "Der Mond ist aufgegangen" oder zu Wilhelm Gottlieb Beckers Frühlingsversen "Wie reizend, wie wonnig" schrieb. Beckers Gedicht ist zwar inzwischen auch vergessen, aber die Melodie überlebte mit "Ihr Kinderlein kommet". Der königlich-dänische Hofkapellmeister Schulz gab übrigens bereits im Jahr 1779 eine Liedersammlung mit dem Titel "Gesänge im Volkston" heraus, lange bevor Robert Schumann 1851 seine "Fünf Stücke im Volkston" veröffentlichte.

Als Christoph von Schmid seine Strophen dichtete, war der Komponist schon tot, er starb 1800. Erst der evangelische Volksschullehrer Friedrich Hermann Eickhoff (1807 - 1886) aus Gütersloh fügte den Schmidschen Text und die Schulzsche Melodie zusammen. Er hatte in einem Leitfaden für Lehrer von den Versen gelesen, die dort eindringlich für den Religionsunterricht empfohlen wurden. 1832 publizierte er den Text kombiniert mit der Schulz-Melodie in seinen "Sechzig deutsche Lieder für dreiszig Pfennige", die sein Schwiegervater Carl Bertelsmann für ihn druckte, in vielen Auflagen übrigens. Damit begann die internationale Karriere des Liedes.

Tatsächlich - auch davon erzählt die Ausstellung in Augsburg - gibt es noch eine ganze Reihe von weiteren Vertonungen, die die Ausstellungsmacher ausfindig gemacht haben. An einer Hörstation kann man den Varianten lauschen, solange bis man den Text einfach nicht mehr hören kann.

Ihr Kinderlein kommet! Mythos - Geschichte - Welterfolg des bekannten Weihnachtsliedes ; 11 bis 16 Uhr, Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, bis 21. Dezember. Der Katalog kostet 19,80 Euro.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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