Was ist Schönheit?:Der menschliche Makel

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Könnte es sein, dass andere Kulturen unsere Top-Models hässlich finden? Wie - umgekehrt - wir nicht verstehen können, dass das chinesische Wort für "Schönheit" zugleich "fettes Schaf" bedeutet. Eine Berliner Tagung ist dem schwankenden Begriff der Beauty nachgegangen.

ARND WESEMANN

Kann man denn nichts einfach mal nur schön finden? Muss alles gleich ins Lächerliche gezogen und als Kitsch abgetan werden? Warum empfinden wir Sehnsucht nach einer Schönheit, der wir doch zugleich misstrauisch gegenüber stehen? Welcher Verführung sitzt auf, wer die schöne Frau in der Werbung schöner findet als die schöne Frau neben sich? Und darf man männliche Heldenposen als Ausdruck biologischer Überlegenheit betrachten, ohne sie in die Nähe faschistischer Idole zu rücken? Schon ist es um das Schöne geschehen.

Gut essen und die Töchter tanzen lassen: Der chinesische Künstler Liu Zheng zeigt seine Fotoserie: "The Four Beauties" in der genannten Ausstellung. (Foto: Foto:)

An deutschen Universitäten boomt die Schönheit. Nach einem Jahrzehnt intensiver Genderforschung und Einübungen in die Gleichheit -- Frau, Religion, Rasse -- scheint es nun ein Rollback zu geben. Das Schöne war entmachtet, weil es auf die Seite der Werbung, der Computermanipulationen und der Schönheitsoperationen übergelaufen war. Und weil das Schöne der Gleichheit widerspricht. "Schönheit lockt", sagt der Berliner Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus, der mit dem Thema derzeit durch die Hörsäle tourt. Mit Darwin, der wie der Biologismus überhaupt gerade eine Renaissance erlebt, behauptet Menninghaus, Schönheit diene einzig der biologischen Selektion. Deshalb hätten die Kulturen die Macht des Schönen gebrochen. Der Islam verhüllt seine Frauen, damit nicht das Ungleiche die Partnerwahl bestimmt. Und um den Konkurrenzdruck zu senken, gibt es Uniformen.

Es ist die Konkurrenz der Globalisierten, die eine neue Anbetung des Schönen und Starken hervorgebracht hat. Tatsächlich, so Menninghaus, markierten Kleidung und Mode aber genau das Ende der darwinistischen Selektion. Nacktheit zwang zur Kleidung und damit zur Kultur. Seitdem ist der natürliche Körper tabu. Um die verletzende Erinnerung an den überwundenen Naturzustand zu kaschieren, galt Nacktheit immer zugleich als obszön und als Ideal des Schönen. Den Idealkörper entdeckte erst die Kunstgeschichte; später folgten die Gesundheits- und Fitnessindustrie und alle damit verbundenen Selbstzüchtungen dem Diktat strenger Schönheitsideale, die sich aufs Nackte beziehen. 65 Prozent aller US-Amerikaner sind übergewichtig. Die Schlussfolgerung: Der Körper ist schlecht, er gehört dem Bösen. Mit dem Schönen geht darum auch die Wiederentdeckung der Scham einher. Denn der reale Körpers schämt sich vor den propagierten Idealen. Jeder weiß, der Körper wird nie so makellos sein wie gefordert: rein und sündenfrei, gesund und tüchtig. Und doch sucht man ihn, zumal in der Kunst. Und klagt diese nun an.

Ganz Paris läuft Sturm gegen den Choreographen Jan Fabre, der eine nackte, mit Öl übergossene Tänzerin auf der Bühne als "Kriegerin der Schönheit" zeigt. Es war wohl das Öl, das Unreine, dass der Schönheit zuwiderlief. Auf dem JFK-Airport in New York posierten kürzlich zwei Dutzend nackte schwarze Models in Fußketten -- zum Anbeißen schön. Amerika wollte protestieren, doch mit dem Verweis auf die Altlast der Sklaverei und das entzündete Begehren nach dem schönen Anderen brachte Vanessa Beacroft ihre Kritiker zum Schweigen.

Nun hat der auf dem aktuellen Vorlesungsparcours ebenfalls gefeierte französische Sinologe Francois Jullien vorgeschlagen, Schönheit durch die Brille anderer Kulturen anzuschauen. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt zog mit und eröffnet heute das Festival "Über Schönheit" mit einer Ausstellung, einer Tanzreihe und Diskussionspodien. Jullien betrachtet das Schöne aus Sicht der Chinesen. In seinem Buch "Vom Wesen des Nackten" behauptet er, für die Chinesen sei ein Mensch kaum als solcher schön. Nach der alten Weisheit des Tao mache erst die Bewegung den Menschen schön. Wie zum Beispiel Tai-Chi. Die chinesische Silbe "mei" (wörtlich: fettes Schaf) bedeutet Schönheit. Verwendet wird sie jedoch für gutes Essen, Wohlbefinden, ein angenehmes Körper-Gefühl. Sinnigerweise auch für die Vereinigten Staaten (wörtlich: schönes Land). Das Schöne könnte also so einfach zu haben sein, ohne die Ideale von Selbstzucht und Verzicht. Warum nicht einfach das Leben genießen? Doch Europäer halten sich an Jacques Lacan, der behauptet hat, auch der Genuss sei ein Diktat.

Alles fließt

Die Berliner Choreographen Jutta Hell und Dieter Baumann studierten in Schanghai ein Stück namens "Eidos_Tao" mit chinesischen Tänzern ein. Tao, bei uns meist mit "Weg" übersetzt, meint in China Bewegung, das Fließende und Unaufhaltsame des Tanzes im Gegensatz zu unserem klassischen Ideal des feststehenden "Eidos". Genau das, sagt Jullien, sei der Unterschied. Chinesen denken das Schöne im Fluss, bei uns dagegen hingegen muss das Schöne stillstehen. Gut essen und die Töchter tanzen lassen -- in entlegenen Gebieten im Süden Chinas ist das noch so. Und schön die erwiesene Großzügigkeit.

Der Verdacht besteht, dass Europa das Schöne einfach nicht schön finden will. Von Brecht stammt der Satz: "Schönheit entsteht durch die Überwindung von Schwierigkeiten". Schön ist der Gipfel nur nach dem Anstieg. Schön ist der Genuss, der mit Schweiß erkauft wird. Vielleicht erkannte man das Schöne deshalb zuletzt kaum mehr als ästhetische Kategorie an. Schillers Satz "Schönheit ist Freiheit in der Erscheinung" wird erst zum Gedenkjahr wieder hervorgekramt. Er sprach von Würde als Kategorie des Schönen. Die Würde des Gesunden? Des schönen Körpers? Vergessen ist, was Schiller wirklich meinte und was die Chinesen heute noch meinen: herausragenden Intellekt, gute Politik, feines Handwerk, das Können des Menschen. Nur das Wahre und Gute sei für Chinesen auch das Schöne, sagt Jullien. Und der Essayist Dave Hickey geht noch weiter. In seinem Buch "Enter the Dragon" beschreibt er, wie diese "klassische" Haltung den Chinesen nun ausgetrieben werden soll.

Auch sie erfahren die Macht der Akademien, Museen und Universitäten. Wie in Europa suchen diese Institutionen die Schönheit in Konstruktionen und Systemen. Aber Chinesen glauben genauso wenig an Begriffe wie an menschliche Aufopferung, um ein Ziel zu erreichen. Ihre traditionelle Auffassung von Schönheit ist eine Feier des Unbeständigen, der ewigen Zirkulation und Transformation. Und genau das ist, laut Hickey, das Gegenteil des Starren und Gesetzlichen, das Institutionen verkörpern.

Aber diese Kultur des Transformativen ist auf dem Rückzug, schneller als man denkt und so zwanglos, wie es die chinesische Choreografin Jin Xing ausdrückt: "Der chinesische Körper wirkt eben schwach im Vergleich zum schönen Körper Afrikas. Er hat auch nicht diesen Antrieb aus Neid und Gerechtigkeitssinn wie im Westen, der ihn hart und reich gemacht hat. Aber deshalb tragen Chinesen ihr Geld noch lange nicht ins Fitness-Studio. Chinesen arbeiten hart. Denn wahre Schönheit ist für uns: Reichtum."

© SZ vom 17.3.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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