Was ist ein Beamter?:Die Lokomotivdiener

Lesezeit: 4 min

Beamte haben in der öffentlichen Meinung keinen guten Stand: Faul seien sie - und das auf Lebenszeit. Einer der beliebtesten Scherze auf ihre Kosten geht so: Warum können Beamte nicht tanzen? - Weil es keine Band gibt, die so langsam spielen könnte!

Burkhard Müller

Das Wesen des Beamten macht es aus, dass man ihn, sei es auch seufzend, behalten muss, bis er von selbst geht. In zeitgemäßen Volkswirtschaften muss dies wie ein schwerer Nachteil aussehen. Doch plötzlich winkt gerade aus diesem Sachverhalt eine kleine Rettung: Bei der Deutschen Bahn, die sich ja schon lange nicht mehr Bundesbahn nennt, wird die unveräußerliche Altlast unvermutet zur Geheimwaffe im Arbeitskampf.

Das Privileg der Unkündbarkeit, über das sich die Öffentlichkeit stets mit Vorliebe erhitzt, ist ja nur die eine Seite der Beamtenmedaille. Nun kommt auch die für das Gemeinwesen erfreulichere Rückseite zum Vorschein, nämlich dass der Beamte nicht streiken darf. Der Beamte steht nicht in einem Arbeits-, sondern in einem Treueverhältnis, und er wird für seine Tätigkeit nicht bezahlt, sondern, wie der Fachbegriff lautet, alimentiert.

Ab Mittwoch liegt die Sicherung des Eisenbahnverkehrs ganz in beamtlicher Hand. Wie gut, dass die Abwicklung des Beamten sich lang genug hingezogen hat! Sonst wäre, wie von verschiedenen Seiten zu hören, der Standort Deutschland in Gefahr.

Diesem Argument kann, ja muss der nur angestellte Lokomotivführer das Ohr verschließen; er ist gehalten, seine Arbeitskraft einem Dritten und Fremden, als welcher jede Firma ihren Mitarbeitern zu gelten hat, zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Der Ausstand ist als Mittel, diesen Preis in die Höhe zu treiben, ausdrücklich anerkannt.

Manchmal, ja meistens profitieren sie beide davon, dass sie das Damoklesschwert nicht niedersausen lassen; aber da ist es immer und schwebt über dem Haupt des je anderen Sozialpartners. Franz Kafka beschreibt in seinem Brief an den Vater, wie dieser voller Wut seine Angestellten als "bezahlte Feinde" zu bezeichnen pflegte, und wendet sich verwundert an ihn: Ob ihm nie eingefallen sei, dass er der zahlende Feind ist?

Freier Abzug in die Pension

Dass es sich so verhält, ist niemandem unbekannt, wenngleich man es gern vergisst. Das Wohl aller beruht darauf, dass jeder Einzelne sein eigenes Interesse wahrnimmt; der Frieden soll als Resultante aus Millionen kämpferisch gesonnener, ruheloser Einzelvektoren hervorgehen, so sieht es die Ordnung der freien Marktwirtschaft vor. Eigentlich ist das doch eine sehr, ja eine allzu optimistische Erwartung.

Der Staat als zentrales, die Egoismen seiner Bürger übersteigendes Subjekt mag sich diesem Arrangement jedenfalls nicht auf Gedeih und Verderb anvertrauen und nimmt darum in seinen entscheidenden Funktionen die Hilfe der Beamten in Anspruch; sie haben einen Eid zu leisten, dass sie sich an diesem Wettbewerb aller gegen alle nicht beteiligen, und bekommen für ihre Selbstentwaffnung freien Abzug in die Pension zugesichert.

Beamte, heißt es gerne, seien faul und ohne Initiative. Das ist eine verleumderisch persönliche Einkleidung der Tatsache, dass sie, um ihrem Zweck zu entsprechen, der Drohung des wirtschaftlichen Untergangs entrückt werden müssen. Ohne diese Zusage und die Angstlosigkeit, die so möglich wird, hätten auch die Beamten sich wieder in den großen Hauptstrom derer zurückzufädeln, die nicht anders können, als unbefangen den eigenen Vorteil wahrzunehmen. Die Alternative zur Faulheit in diesem Sinn ist die Korruption: als Fleiß in eigener Sache.

Es steht noch nicht einmal fest, dass ein Angestellter die Staatskasse in jedem Fall auch nur finanziell günstiger käme. Mit ihm den bisherigen Arbeitsplatz eines Beamten zu besetzen, bedeutet im Zweifel nichts anderes, als die Plagen der Kontinuität gegen die der Diskontinuität einzutauschen.

Einen beamteten Lehrer, der nichts taugt, kriegt der Staat nicht mehr los, höchstens kann er ihn alle zwei Jahre an eine andere Schule schicken, um den Schaden etwas breiter zu streuen; "Wanderpokale" heißen diese Staatsdiener im Jargon der Schulämter. Wenn man aber, wie es einige Bundesländer tun, den Lehrern möglichst nur noch befristete Verträge gibt, um dauernde Einnistung zu verhindern, muss man alle naselang von vorn anfangen.

Was aber wären die entscheidenden Funktionen, für die sich auf Beamte nicht verzichten lässt? Die Bahn gehört unstreitig zur Grundversorgung; das Brot aber noch mehr, und doch gibt es keine beamteten Bäcker. Lange haben die Staaten die Kontrolle der Verkehrswege und Kommunikationskanäle als ihre hoheitliche Domäne gehütet, ja das Werden des modernen Staats geht überall damit einher, dass er zum Beispiel die Post direkt unter seine Fittiche nimmt.

Dass es so etwas wie beamtete Postboten gibt, war vom Staat einmal, statt als Bürde, die man möglichst schnell loswerden muss, als ein Fortschritt gebucht worden. Und ebenso arbeitete in vielen Ländern der Staat lang und mit erst spätem Erfolg darauf hin, die Eisenbahnen in seiner Hand zu vereinen; wer dort beschäftigt war, den nahm er gern als seinen Beamten.

Wie man sieht, kommt auf die Frage: "Wozu braucht man eigentlich Beamte?" sofort eine andere zurück: "Was ist der Staat? Soll er als Wirtschaftsunternehmen auftreten?" Zwar ist im Grundgesetz vorgesehen, dass private Schlüsselbranchen wie die Banken oder die Stahlindustrie verstaatlicht werden können. Heute aber schwingt das Pendel in die Gegenrichtung, und die bloße Vorstellung staatlicher Großbetriebe scheint eine sozialistische Blasphemie zu sein. Machen sie Gewinn, so pfuschen sie dem Markt ins Handwerk; machen sie Verlust, will der Steuerzahler sich das nicht gefallen lassen; erscheint aber in der Bilanz eine schwarze Null, dann ist das ein klarer Beweis der Stagnation.

So kamen erst die Fluggesellschaften unter den Hammer, dann die Energieversorger, dann die Bahnen und Posten. Dass das System der Konkurrenz in zentralen Bereichen der Infrastruktur nicht in vollem Umfang funktionieren kann, da es völlig sinnlos und viel zu teuer wäre, die entsprechenden Netzwerke, die Strom- und Telefonkabel, die Leitungen, Gleise und Autobahnen, doppelt und dreifach aufzubauen, wird eher kleinlaut eingestanden, indem der Staat immer noch als Hauptgesellschafter auftritt und sich sozusagen als Privatmann verkleidet.

Er kann nicht umhin, hier weiter mitzumischen; ein gutes Gewissen allerdings hat er nicht dabei. So federt er wenigstens teilweise das Chaos ab, das eintreten muss, wenn weiterhin ein einziges Unternehmen die Netze betreibt, aber alle ökonomischen Interessen freien Zugriff darauf haben sollen. Ausbaden müssen es im Zweifel die Kunden, die ihr blaues Wunder erleben, wenn sie von der Telekom zu einem anderen Anbieter wechseln wollen.

Dass es die letzten Mohikaner des Beamtentums sind, die jetzt beim Streik der Lokomotivführer das Schlimmste abwenden sollen, hat einen süßsauren öffentlichen Affekt zur Folge. Es mischen sich darin die Erleichterung, dass es nun doch in den Urlaub geht, der Unmut, wie schnöde das Interesse der Arbeitnehmer ausgehebelt wird, die ironische Genugtuung, dass Beamte zur Abwechslung doch einmal zu was gut sind, das Erstaunen über die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen - und die Gewissheit, dass dieser Konflikt, sollte er in zehn Jahren wieder einmal auftreten, sich ganz gewiss nicht mehr mit Hilfe der Beamten entschärfen lässt.

© SZ vom 8.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: