Wagner-Festspiele:Bayreuther Endspiel

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Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier wollen in Bayreuth das Ruder übernehmen. Festspielleiter Wolfgang Wagner muss sich nun zurückziehen - und zwar möglichst schnell.

Reinhard J. Brembeck

Wolfgang Wagner, der als Leiter der Bayreuther Festspiele in über 50 Jahren Beachtliches zustande gebracht hat, steht jetzt, nach Wochen sich überstürzender Ereignisse und erregter Diskussionen, vor der größten Aufgabe seines bisherigen Berufslebens: Er muss von seinem Chefposten zurücktreten.

Zieht sich zurück: Wolfgang Wagner (Foto: Foto: AP)

Weil er in der leidigen Frage um seine Nachfolge etwas in Gang gebracht hat, das sich überraschenderweise ganz in seinem Sinne entwickelt hat und zudem die Interessen des Bayreuther Stiftungsrats wahrt. Um das zu verstehen, muss man allerdings etwas weiter ausholen.

Vor zwei Wochen teilte der 88-jährige Wagner mit, dass er sich ein künftiges Bayreuther Leitungsduo vorstellen könne, das sich aus seinen beiden Töchtern Eva und Katharina zusammensetzt. Ein Vorschlag, der voller Erleichterung und emphatisch begrüßt wurde: von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), von Bayerns Kunstminister Thomas Goppel (CSU) und vom Chef der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, Karl Gerhard Schmidt.

Nie durch besondere Verbundenheit aufgefallen

Damit haben jene drei Kräfte ihre Zustimmung bekundet, die mit dem Stiftungsrat das für die Zukunft der Festspiele verantwortliche Gremium dominieren. Also bat dieses Funktionärstrio die Halbschwestern, die nie durch besondere Verbundenheit aufgefallen sind, doch gemeinsam zu kandidieren

Und es geschah ein Wunder. Nach Katharina gab jetzt auch Eva Wagner-Pasquier ihr Einverständnis: "Nach reiflicher Überlegung will ich mich - aus privaten wie sachlichen Gründen - dieser Bitte nicht verschließen... Katharina und ich werden demnach in nächster Zeit über ein mögliches gemeinsames Konzept und unsere Vorstellungen von einer Zusammenarbeit sprechen."

Vergessen scheint, dass Eva bereits vor sieben Jahren vom Stiftungsrat als Nachfolgerin nominiert wurde - woraufhin sich Wolfgang weigerte, von seinem Posten zurückzutreten. Vergessen scheint, dass Eva kürzlich zusammen mit ihrer Cousine Nike (und nicht mit Katharina) ein Konzept zur Zukunft der Festspiele einreichte. Vergessen scheint, dass Eva einst im Unfrieden von Bayreuth und ihrem Vater schied. Denn nun winkt die Macht, nun zeichnet sich für sie wider alles Erwarten die Möglichkeit ab, doch noch die Geschicke des berühmtesten Festivals der Welt leiten zu dürfen.

Düpiert wird durch diese Entwicklung die Musik- und Literaturwissenschaftlerin Nike Wagner, die seit 2004 das Kunstfest Weimar leitet. Doch nicht nur Nike muss die Handlungsweise ihrer Cousine als Verrat empfinden. Dass es im Hause Wagner wüster zugeht als im "Denver-Clan" oder bei den Atriden, darauf hat schon Bayreuths Gründervater Richard die Welt eingestimmt.

Also sollte auch niemand von dem, was in Bayreuth je geschieht, überrascht sein - erst recht nicht, wenn das alles immer eher Wahn in die Welt bringt als Frieden. Dass sich allerdings ausgerechnet dieses bedeutende Festival immer wieder in die Nähe seichtester Comedy manövriert, lässt doch manchmal an seiner Bedeutung zweifeln.

Erschreckende Etatlöcher

Ob Nike je eine Chance hatte oder gehabt hätte, Chefin in Bayreuth zu werden, bleibt nun also im Ungewissen. Der Stiftungsrat hat aus seiner Bevorzugung der Kunstmanagerin Eva kein Geheimnis gemacht, genau so wenig wie Wolfgang aus seiner Abneigung gegenüber der Nichte.

Zudem steht Nike für einen Umbau Bayreuths, für ein Aufbrechen der jetzigen Strukturen, für programmatische Innovationen, für eine Modernisierung des Festivals und seiner Präsentation, für zusätzliche Stücke jenseits des dort gepflegten Kanons der sieben reifen Wagner-Werke. Das würde einen Bruch mit der in Bayreuth besonders heiligen Tradition bedeuten - was manchem als Sakrileg erscheint.

Doch die Möglichkeit eines Tabubruchs entbindet weder den Stiftungsrat noch das Duo Eva & Katharina von der Pflicht, den jetzigen Betrieb schonungslos auf seine real vorhandenen Schwächen und manchmal nur behaupteten Stärken abzuklopfen.

Katharina Wagner (Foto: Foto: dpa)

Jede Veränderung der jetzigen Strukturen und Programmatiken würde allerdings auch mehr Geld kosten. Woran der Stiftungsrat nur wenig Interesse zu haben scheint. Schon jetzt ist das Festival unterfinanziert, schon jetzt werden dort eher symbolische Löhne denn echte Gagen gezahlt, und die auf das Festival zukommenden Etatlöcher sind erst kürzlich erschreckend offenbar geworden.

Wobei allerdings, wie immer in der Kunst, die Geldfrage nicht zwangsläufig etwas mit der Qualität zu tun haben muss. Zu Wolfgang Wagners ganz großen Verdiensten zählt, dass er immer wieder und in den letzten Jahren verstärkt das Regietheater gefördert und gefordert hat.

Dass Patrice Chéreau und Christoph Marthaler, Harry Kupfer und Christoph Schlingensief, Katharina Wagner und dieses Jahr dann Stefan Herheim hier gearbeitet haben und arbeiten, ist ja nicht als Provokation gemeint. Sondern als Hinweis darauf, dass die Opernklassiker nur dann eine Relevanz übers Kulinarische hinaus besitzen, wenn sie, radikal vom Heute ausgehend, auf ihre Botschaften und Einsichten befragt werden. Das kann aber nur jene Regie, die die Tiefenschichten der Partituren freilegt und so die Musik übers Ästhetisch-Schöne hinaus mit Bedeutung belädt.

Der grüne Koloss

Wolfgang Wagner weiß das genau so gut wie viele andere, in der Regel sehr viel jüngere Opernmanager in Europa. Es war bisher anscheinend keine Frage des Geldes, immer wieder solche zentralen Regisseure für den Mythenort Bayreuth zu finden. Bei den Sängern dagegen sieht das anders aus. Denn mehr als achtbarer Wagner-Gesang, vor allem im leidigen Tenorfach, ist derzeit weltweit nur ganz selten zu hören.

Es ist also absurd, von Bayreuth in puncto Sängern etwas zu verlangen, das auch sonst niemand auf Erden einzulösen vermag. Viel interessanter wäre die Frage, wie man die heutigen Stimm(ch)en musikalisch und szenisch sinnstiftend in Produktionen einbindet - eine Frage, der bisher allzu wenige Opernmacher nachgehen, obwohl sie das zentrale Problem im Umgang mit den Opern des 19.Jahrhunderts beschreibt.

Und bei den Dirigenten? Das von Eiji Oue vor drei Jahren angerichtete "Tristan"-Debakel hätte einem normalen Opernintendanten den Job kosten können. Gegen Christian Thielemann als Wagner-Dirigenten etwas einzuwenden, wird sich niemand erdreisten. Aber er hat sich ab 2011 als "Ring"-Dirigent an das Festspielhaus Baden-Baden gebunden, und zudem gibt es ganz andere und nicht weniger überzeugende Möglichkeiten, Wagner-Partituren zu lesen. Würde Roger Norrington einmal in Bayreuth antreten, so würden die Wagnerianer eine kolossale Überraschung erleben.

Neues Bayreuth-Team braucht Zeit

All diese künstlerischen Fragen, zu denen noch unzählige organisatorische und marketingtechnische kommen, muss ein neues Bayreuth-Team ernsthaft angehen können. Das braucht etwas Zeit. Noch wichtiger aber ist, dass die neuen Chefs möglichst schnell und ernsthaft in die Pflicht genommen werden. Denn Konzepte und Ideen sind im harten Opernalltag nicht einmal die Druckerpatrone wert, mit der sie ausgedruckt werden.

Aus all diesen Gründen muss Wolfgang Wagner sich jetzt möglichst schnell zum Rücktritt durchringen - der sich hoffentlich nicht so dahinzieht wie derjenige von Edmund Stoiber. Er muss den Weg jetzt freimachen für sein Dream-Team Eva & Katharina, das ja den Segen des Stiftungsrat hat. Dabei sollte er den Stiftungsrat respektieren, sollte ohne die Zusicherung zurücktreten, dass Eva & Katharina tatsächlich seine Nachfolgerinnen werden. Eine Entscheidung, die er nicht erzwingen, wohl aber be- und sogar verhindern kann.

Der Stiftungsrat ist mit seiner Offerte Wagner schon mehr als genug entgegen gekommen. Jetzt ist der weitere Fortgang eine Frage von Würde und Achtung. Dass Nike ausgebootet wurde und Eva umgeschwenkt ist, sorgt für genug Misstöne. Und auch juristische Spitzfindigkeiten sollten nun keine Rolle mehr spielen. Was aber, wenn Eva & Katharina versagen, wenn sie sich in Diadochenkämpfen aufreiben, statt Bayreuth voran zu bringen? Dann sucht man eben in fünf Jahren einen neuen Leiter, der dann dezidiert nicht mehr aus dem Hause Wagner sein muss.

© SZ vom 21.04.2008/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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