Wagner-Dynastie:Walküre im Wartestand

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Katharina Wagner möchte Chefin in Bayreuth werden - was aber nicht ganz einfach zu sein scheint.

Reinhard J. Brembeck

Das Buhgewitter war so gewaltig wie berauschend. Als sich am 22. September 2002 eine junge, etwas ungelenk wirkende Blondine auf die Bühne des Stadttheaters Würzburg begab, da bekam sie den geballten Unmut ab, den gestandene Wagnerianer und Konservative gern und lautstark über die angeblichen Exzesse des Regietheaters auszuschütten pflegen. Dabei nützte es der damals erst 24 Jahre alten Regisseurin dieses "Fliegenden Holländers" hörbar nichts, dass sie die Urenkelin des Komponisten ist. Die Gralshüter der Werktreue schien dieser Umstand eher zusätzlich in Rage zu versetzen. Wagte es doch Katharina Wagner in Nachfolge von Konwitschny und Neuenfels, die düster erlösungssüchtige "Holländer"-Geschichte als heilloses Emigranten-Drama gegen den Strich zu bürsten - eine durchaus stimmige Lesart.

Wird sie seine Nachfolgerin? Katharina Wagner mit ihrem Vater Wolfgang - natürlich in Bayreuth. (Foto: Foto: dpa)

Jetzt, fünf Jahre und drei weitere Inszenierungen später, steht Katharina Wagner, mittlerweile 29 Jahre alt, vor Bayreuths Toren. Nicht nur, dass sie dort am 25. Juli ihr Regiedebüt mit den "Meistersingern" geben wird. Nein, mittlerweile gilt Katharina vielen als künftige Chefin dieser so seltsamen wie singulären Festspiele, die jährlich gerade mal eine Premiere (manchmal auch gar keine) herausbringen, sich dabei unter Ausschluss von drei Jugendstücken auf die zehn Hauptwerke Richard Wagners konzentrieren, vielfach überbucht sind, im Vergleich zu Salzburg moderate Kartenpreise verlangen (bis zu 208 Euro) und jährlich nur fünf Wochen lang spielen. Den Rest des Jahres steht, von den Festspielproben abgesehen, das Haus leer, das weltberühmt ist auch wegen seiner Akustik und Optik: Man sieht im klassizistischen Innern das Orchester nicht.

Gralshüter Wolfgang

Seit 1951 leitet diese Festspiele Wolfgang Wagner, anfangs zusammen mit seinem Bruder Wieland. Er hat einen Vertrag auf Lebenszeit, und derzeit wird viel getuschelt über den sich angeblich verschlechternden Gesundheitszustand des 87-Jährigen. Das nährt die Gerüchte über ein mögliches Ende seiner Ära. Zumal er schon vor geraumer Zeit erkennen ließ, dass er zugunsten von Tochter Katharina durchaus zum Amtsverzicht bereit wäre. Und Katharina hat ihren Anspruch mittlerweile auch in ihrer forsch unverstellten Art angemeldet. Wenn sich also der Bayreuther Stiftungsrat wie jedes Jahr auch wieder nach den diesjährigen Festspielen zusammenfindet, so wäre es ein Leichtes, sofort eine neue Bayreuth-Chefin zu küren - ganz abgesehen davon, dass auch Katharinas Halbschwester Eva und ihre Cousine Nike Interesse an diesem Posten haben.

Aber der Stiftungsrat macht keinerlei Anstalten, dem Prinzipal in Sachen Katharina zu Willen zu sein. Schließlich hatte Wolfgang schon vor sechs Jahren einem Nachfolgeverfahren zugestimmt. Als die Wahl aber gegen seine Intentionen auf Eva, seine Tochter aus erster Ehe, fiel, zog er es vor, auf seinem Posten zu bleiben und die für alle Beteiligten peinliche Affäre auszusitzen. Solch ein Debakel will man nicht noch einmal erleben, und deshalb wird das Gremium ein neues Nachfolgeverfahren erst dann auf den Weg bringen, wenn Wolfgang dabei definitiv nicht mehr mitmischen kann. Offen ist nur, wann das sein wird.

Lieber kein Hauruckverfahren

Aber es gibt noch andere gute Gründe, die Bayreuth-Nachfolge nicht in einem Hauruckverfahren über die Bühne zu bringen. Sondern sich dafür Zeit zu lassen und sie weniger mit dynastischen denn inhaltlichen Überlegungen zu verknüpfen. Natürlich schmeichelt es dem Mythos Bayreuth, wenn ein Nachfahre Wagners dort die Geschäfte führt. Aber der Stiftungsrat muss sich jenseits dieser sentimentalen und politisch fragwürdigen, weil feudalen Gepflogenheiten entstammenden Überlegung fragen, ob es in Bayreuth so wie bisher auch weiterhin zugehen soll - oder ob es kleinere oder gar grundlegende Änderungen geben muss.

Einerseits hat sich das Festival in den vergangenen Jahren mit Marthaler, Guth und Schlingensief dem Regietheater und damit zeitgemäßeren Produktionsformen geöffnet. Auch konnte in Thielemann einer der derzeit besten Wagner-Dirigenten gewonnen werden. Doch das "Ring"-Debakel mit Tankred Dorst als Regie-Einspringer für Lars von Trier hat gezeigt, dass Bayreuth manchmal um jeden Preis den großen Effekt will. Denn der Skandal, das wusste schon der in PR-Fragen äußerst weitsichtige Festivalgründer Richard, ist die unverzichtbare Ingredienz des Bühnenerfolgs.

Und der Fall des "Tristan"-Dirigenten Eiji Oue, dessen herber Klangstil 2004 zu seiner Entmachtung durch das Orchester führte, offenbart, dass es in Bayreuth musikalische Schwachstellen gibt - durchaus auch bei den Sängerbesetzungen. Ein weiteres Problem dürfte Wolfgang Wagners monomaner Führungsstil sein, zu dem auch das geradezu feudalistisch gehandhabte System der Kartenvergabe zählt. In Zukunft, so viel ist sicher, wird es keine Festspielleitung auf Lebenszeit mehr geben, sondern nur mehr zeitlich begrenzte Intendantenverträge.

Bayreuth - nur ein mythenverklärter Erinnerungsort?

Bayreuth in den letzten Jahren und trotz einiger interessanter Aspekte in Sachen Wagner nicht wirklich die Nase vorn hatte, wird niemand bestreiten. Dass dieses Festival aber führend in der Wagner-Exegese sein sollte und nicht bloß mythenverklärter Erinnerungsort, darf man zumindest fordern. Die Frage ist nur, wie dieses Ziel erreicht werden könnte - und ob das auch der Stiftungsrat will. Wenn ja, dann sollte er sich international nach Kandidaten mit eigen(willig)en Wagner-Visionen umsehen.

Wobei größere Neuerungen schon aus Geldgründen kaum möglich sein werden. Das Finanzgenie Wolfgang Wagner hat das Festival zu einem für die öffentliche Hand äußerst günstigen Tarif betrieben, das wird ihm keiner nachmachen. Allein schon das jetzige Niveau und Angebot zu erhalten, wird eine Erhöhung der Subventionen nach sich ziehen - ganz zu schweigen von einer Ausweitung des Repertoires und des Spielbetriebs.

Es ist möglich, aber noch längst nicht ausgemacht, dass dem Stiftungsrat letztendlich Katharina Wagner, deren Bayreuth-Pläne bisher eher diffus sind, als die geeignetste Kandidatin erscheint, vielleicht im Doppel mit einem erfahrenen und innovativen Opernmenschen. Damit könnten Einwände gegen Katharinas Jugend und ihre mangelnde Erfahrung als Theaterleiterin ausgeräumt werden. Ob es je so weit kommen wird, hängt auch davon ab, wie die Bayreuth-Gemeinde auf die "Meistersinger"-Arbeit von ihr reagiert. Katharina ist im Gegensatz zu ihrem Vater eine Vertreterin des Regietheaters, das haben all ihre Inszenierungen bestätigt. Damit gehört sie einer ästhetischen Fraktion an, die vielen Wagnerianern und wohl auch etlichen Mitgliedern des Stiftungsrates nicht allzu genehm ist.

Katharina Wagner, das ist klar, braucht Bayreuth. Aber es ist noch ein weiter Weg, bis auch Bayreuth Katharina Wagner braucht.

© SZ vom 14.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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