Wafaa Bilal und die implantierte Kamera:Das Auge ist mit

Aus der Reihe "lebensnotwendige Geräte", heute: die Hinterkopfkamera. Der New Yorker Fotografieprofessor Wafaa Bilal ließ sich eine Kamera in den Hinterkopf implantieren.

Jassien Kelm

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Aus der Reihe "lebensnotwendige Geräte", heute: die Hinterkopfkamera. Der New Yorker Fotografieprofessor Wafaa Bilal ließ sich eine Kamera implantieren. Der Künstler Wafaa Bilal, Fotografieprofessor in New York, hat sich eine 10-Megapixel-Kamera an den Kopf operieren lassen. Dafür ließ er sich mehrere Titanplatten am Hinterkopf einsetzen, an denen das sehende Utensil befestigt wurde. Da aufgrund der fehlenden medizinischen Notwendigkeit kein Arzt bereit war, den Eingriff vorzunehmen, wurde Bilal in einem Piercingstudio operiert. Unter Nichtberücksichtigung der hygienischen Verhältnisse in einem Piercingstudio, und abgesehen davon, dass die Kamera auch mit weniger invasiven Methoden hätte befestigt werden können - beispielsweise mit einer simplen Gummibandkonstruktion - stellt sich auf rechtlicher Ebene eine andere Frage: die nach der Privatsphäre der so aufgezeichneten Menschen. Wir kennen diese Diskussion bereits von Google Street View. Text und Bildauswahl: Jassien Kelm/sueddeutsche.de/rus/kar

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Professor Bilal will das gute Stück geschlagene zwölf Monate "tragen" (oder wie auch immer das künftig bei Headcams heißen wird; Vorschläge bitte an den Duden-Verlag). Die Bilder werden an das Arab Museum of Modern Arts in Doha, Katar gesendet, das ab dem 30. Dezember einen Livestream anbietet.

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Zumindest bei seinen Vorlesungen wird er, um die Privatsphäre seiner Studenten nicht zu verletzen, die Linse abdecken. Abzuwarten bleibt, ob Cam-Abdecktücher einmal ähnlich trendy sein werden, wie einst Handybags. Es wäre derzeit jedenfalls verfrüht, von einer Marktlücke zu sprechen. Oder?

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Schon vor Bilal verwendeten Künstler ihren Körper als Kunstmedium oder -objekt. Entstanden ist das künstlerische Konzept der sogenannten Body-Art in den 1960er Jahren. Bekannte Vertreter sind Vito Acconci oder Gina Pane, die ihren Körper teilweise als Materie verstanden, die sie gewaltsam verformten. Auch die Vertreter des Wiener Aktionismus um Rudolf Schwarzkogler sind zu nennen, die 1968 mit der von den Medien als Uni-Ferkelei bezeichneten Aktion Berühmtheit erlangten.

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Dem Menschen sind einige charakteristische Eigenschaften zuteil, die ihn markant von den übrigen Bewohnern der Erde unterscheiden. Zu diesen Eigenschaften darf man getrost das Träumen zählen, beziehungsweise präziser: Den Traum vom Unmöglichen. Zwar ist nicht zu widerlegen, dass, sagen wir: der Gemeine Wimpelfisch (Heniochus acuminatus) vielleicht von Zeit zu Zeit sehnsüchtig gen Himmel blickt und sich ein aerodynamisches Federkleid wünscht oder wenigstens in einem Moment der Unzufriedenheit über die eigenen Fähigkeiten neidvoll zum Octopus mit seinen praktischen Tentakeln hinüberschielt. An dieser Stelle sei dennoch angenommen, dass der Traum vom Unmöglichen etwas spezifisch Menschliches ist. Der prominenteste Vertreter der Gattung ist zweifelsohne jener vom Fliegen. Obgleich es der Menschheit seit kurzem möglich ist, über die Wolken zu gleiten, steht der uralte Traum vom Fliegen sinnbildlich wie kein Zweiter für das Streben nach Unmöglichem - schon die griechischen Antike nennt mahnend den Ikarus-Mythos. Bezeichnend für diese Träume ...

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... ist, dass sie temporär unmöglich scheinen, der vor Sehnsucht getriebene Mensch im Lauf der Zeit jedoch Mittel und Wege findet, sie wahr werden zu lassen. Einer der letzten unerfüllten seiner Art ist der Traum von einem zusätzlichen Augenpaar am Hinterkopf, mit dem man endlich nicht mehr unbemerkt hinterrücks erschlagen werden könnte. "Von der Notwendigkeit, Augen am Hinterkopf zu haben" lautet der Titel einer in den neunziger Jahren veröffentlichten Essay-Sammlung des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Galeano. Wenn Wafaa Bilal sein Projekt in einem Jahr beendet haben wird, kann er selbst den ein oder anderen Essay zum Thema verfassen.

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