Vorschlag-Hammer:Wörterfön

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An Menschen, die schreiben, ist kein Mangel, es fehlt eher an Menschen, die sich Zeit zum Lesen nehmen

Von Antje Weber

Wer schreibt, der bleibt. Ob der Schriftsteller Hanns-Josef Ortheil wohl diesen alten Spruch im Sinne hatte, als er bei der Eröffnung des Literaturfests vehement für das tägliche Aufschreiben plädierte? Dabei ist an Menschen, die schreiben, ja heutzutage sowieso kein Mangel, wie der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch später beim Symposium bestätigen sollte, es fehlt eher an Menschen, die sich noch die Zeit zum Lesen nehmen. "Das bisschen, was ich lese, schreibe ich mir selbst", dieser Tucholsky-Spruch passt da ebenfalls schön dazu, und ich muss gestehen, dass ich ihn in allzu arbeitsreichen Phasen selbst schon zitiert habe - um mich sofort ähnlich zu schämen wie Eröffnungs-Moderatorin Luzia Braun, die einmal errötend in der U-Bahn auf einer Jute-Tasche las: "Haben Sie schon mal einen Sarkasmus vorgetäuscht?"

Bleiben wir bei der ungeschönten Realität. Ich behaupte hiermit zum Beispiel, dass nicht alle, die Mathias Énard s hochgelobten Roman "Kompass" erwerben, ihn auch fertiglesen. Man soll zwar nicht von sich auf andere schließen, trotzdem nehme ich an, dass ich nicht als Einzige irgendwo in der Mitte festhänge. Dabei nötigt mir das profunde Wissen des mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Schriftstellers höchsten Respekt ab - als Materialsammlung zum Thema Okzident & Orient ist dieses Buch ungeheuer bereichernd, als Romanlektüre jedoch eine Geduldsprobe. Als ungeduldiger Mensch gehe ich in diesem Fall einfach erst einmal zur Lesung (Mittwoch, 16. November, 20 Uhr, Literaturhaus). Das bisschen, was ich lese, höre ich mir lieber an - auch so kann man ja das Literaturfest interpretieren.

In diesem Sinne könnte man sich auch genussvoll einem Peter-Rühmkorf-Abend hingeben (Mittwoch, 16. November, 19 Uhr, Einstein) oder dem Pop-Kollektiv Fön, das zwei Tage später im Einstein die Windmaschine anwirft. Schriftsteller Tilman Rammstedt, immer für ein Experiment zu haben, sowie seine Kollegen Florian Werner, Michael Ebmeyer und Bruno Franceschini wirbeln dabei Wörter und Töne lustvoll durcheinander. Auch bei der letzten Bänkelbar (Mittwoch, 16. November, 21.30 Uhr, Hofspielhaus) wird man in sehr kurzer Zeit sehr viele unterschiedliche Stimmen von Jan Wagner bis Najet Adouani zu hören bekommen. Bei der ersten Bänkelbar beeindruckte mich ja besonders die junge Niederländerin Maud Vanhauwaert. Wer schreibt, der bleibt? Diese junge Dichterin zumindest nahm ihr eigenes Tun nicht wichtig: "Ich habe der Welt nichts zu sagen", bekannte sie, sie könne ihr nur eine Melodie geben, einen Klang. Das erscheint bescheiden. Doch unserer rätselhaften, verrückten, überfordernden Welt einen Klang hinzuzufügen - ist das nicht vielleicht schon unerhört viel?

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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