Vorschlag-Hammer:Weniger ist hier das Meer

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Der Sylt-Neuling findet oft erst einmal angeödet, dass da ja alles gleich ausschaut. Er braucht ein paar Tage, um sich einzusehen, um die feinen Beige-Braun-Grün-Nuancen in der kargen Pflanzenwelt der Dünen und deren subtile Veränderung im stets wechselnden Licht auszumachen

Kolumne von Eva-Elisabeth Fischer

Himmel, Horizont, Sehen lernen. So ließe sich das besondere Erleben des Nordens zusammenfassen. In Oberbayern genießen wir die bunte Opulenz landschaftlicher Vielfalt mit von den Bergen bestimmtem Horizont. Im Norden ist das anders. Der Sylt-Neuling im Speziellen findet oft erst einmal angeödet, dass da ja alles gleich ausschaut. Er braucht ein paar Tage, um sich einzusehen, um die feinen Beige-Braun-Grün-Nuancen in der kargen Pflanzenwelt der Dünen und deren subtile Veränderung im stets wechselnden Licht auszumachen. Er lernt, sich an dem gar nicht eintönigen Minimalismus etwa in Gestalt winzigster Blüten zu erfreuen und staunend die Lichtspiele von Schiefergrau über Azur bis Himmelblau eines zwischen Sonnenglast und Regenguss unentschiedenen Himmels über aufgewühlter Brandung zu verfolgen. Endlich kann der Blick ins Unendliche schweifen. Dabei lernen die Gedanken fliegen, umweht von salziger Luft und dem Duft von Kräutern.

Sylt, das ist immer wieder die Reinigung vom täglichen Zuviel und die sinnliche Erfahrung von Weite und der eigenen nicht nur körperlichen Begrenztheit. Wenig ist hier Meer und damit mehr. Die Insel ist die perfekte Lehrmeisterin, sich Unbekanntem und dem nicht unvermittelt sich Offenbarenden zu öffnen. Ein paar Tage auf Sylt schulen die Wahrnehmung und schärfen damit auch den Blick für die Kunst, machen wach für das Unbekannte, das Unentdeckte im Neuen und bereiten damit bestens vor auf das Festival Dance. Das geht am 16. Mai an zehn Tagen in seine 16. Runde und damit wieder einmal weltweit auf Entdeckungsreise. Zurücklehnen und genießen reicht hier nicht immer. Aber es gibt sie wieder, die Vermittlerin zwischen dem möglicherweise opaken Bühnengeschehen und dem auch intellektuellen Verständnis. Der Münchnerin Katja Schneider, die seit Kurzem endlich einen Lehrstuhl bekleidet, nämlich an der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, gelingt es - vielleicht auch, weil sie eine große Sylt-Freundin ist -, immer wieder auch Schwierigstes zu analysieren und selbst für den Laien anschaulich aufzubereiten.

Schneiders internationales und interdisziplinäres Symposium zum Festival trägt diesmal den Titel Kontext/Kollisionen und untersucht auf der Studiobühne der Theaterwissenschaft einige ausgewählte Aufführungen bei Dance aus den unterschiedlichen Perspektiven von Choreografen, Kuratoren, Tanzhistorikern und Wissenschaftlern vom Freitag, 17. Mai, 15 Uhr, bis zum Sonntag, 19. Mai, 15 Uhr. In dieser Ausgabe des Festivals geht es um das Thema Kommunikation, um den Umgang der Menschen miteinander. Schon längst gehört dazu die Interaktion mit den Künsten, mit den Künstlern - wobei einen bestenfalls eine frische, belebende Brise das Hirn frei bläst.

© SZ vom 08.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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