Vorschlag-Hammer:Weise reisen

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Im Zuge der Frankfurter Buchmesse kommen in diesen Tagen und Wochen auch besonders viele interessante, internationaler Autoren nach München

Von Antje Weber

Das Reisen ist ja auch nicht mehr das, was es mal war. Man nehme, aus gegebenem Anlass, die Buchmesse: Die internationalen Verlage schicken aus Kostengründen immer weniger Mitarbeiter nach Frankfurt und immer kürzer, wie Messe-Direktor Juergen Boos jüngst in der FAZ bedauerte. Vielen Verlagsleuten fehle damit die "Frankfurt-Erfahrung".

Immerhin dürfen noch viele Schriftsteller die unerlässliche oder unvermeidliche, von chaotisch bis komatös reichende "Frankfurt-Erfahrung" machen. Sie dürfen, pure Glückseligkeit, danach gleich noch weitere wertvolle Erfahrungen in Bahnen und Buchhandlungen zwischen Aachen und Zwiesel erwerben, um ihre Werke unters Volk zu bringen. Das beschert auch München derzeit besonders viele Besuche interessanter internationaler Autoren. Um ein paar aufzuzählen: Der hierzulande trotz Preisen noch unbekannte italienische Autor Nicola Lagioia liest aus seinem Roman "Eiskalter Süden" (an diesem Freitag, 21. Oktober, 20 Uhr, Literaturhaus). Der Schweizer Christian Kracht, wohnhaft in Los Angeles, stellt seinen sehr bemerkenswerten, zwischen Japan und Berlin irrlichternden Roman "Die Toten" vor (24. Oktober, Kammerspiele), während sein Landsmann Klaus Merz am selben Abend den hochdotierten Rainer-Malkowski-Preis entgegennimmt (24. Oktober, Bayerische Akademie der Schönen Künste). Aus Graz reist der Kongolese Fiston Mwanza Mujila mit seinem sehr gelobten Debüt "Tram 83" an (26. Oktober, Lehmkuhl); einen Tag später kann man beim "Flämischen Cultureclubbing" mit Brecht Vandenbrucke und Judith Vanistendael chillen (27. Oktober, Literaturhaus und Rote Sonne). Wem diese Aufzählung zu männerlastig war, der oder die sollte sich das Schamrock-Festival vormerken: 50 Lyrikerinnen aus aller Welt sind da zu erleben (28. bis 30. Oktober, Pasinger Fabrik). Und wer es gerne noch politischer hätte, für den analysiert der Soziologe Gilles Kepel den "Terror in Frankreich" (24. Oktober, Literaturhaus).

Der Terror in Frankreich und andernorts ist im übrigen ja auch ein Grund für das veränderte Reiseverhalten nicht nur einiger Verlagsleute, sondern von uns allen. Sibylle Berg beschreibt das in ihrem neuen Buch "Wunderbare Jahre. Als wir noch die Welt bereisten" gewohnt zugespitzt: Sie hat eigene Reisereportagen von einst zusammengefasst und jeweils mit bösen Anmerkungen zur seither verschärften Gefahrenlage versehen. Enden lässt sie ihr Buch mit dem zynischen Satz: "Ich wünsche Ihnen ein schönes Leben!" Natürlich wünscht sie uns das Gegenteil: dass wir an all dem Unheil in der Welt entweder auf dem heimischen Sofa ersticken oder endlich etwas dagegen tun. Woher aber wissen wir, was wir tun sollen? Ich wünsche Ihnen ein schönes Lesen!

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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