Vorschlag-Hammer:Weihnachtsgefühl aus der Tüte

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Ethan Hawley ist witzig, geistreich, ein charmanter Familienvater - und entdeckt bei passender Gelegenheit in sich einen Hang zur verkommenen Skrupellosigkeit. Ums Geld geht es, und nur darum. Glücklich, allerdings, macht ihn das nicht

Kolumne von Christian Jooß-Bernau

Die Vorweihnachtszeit begann damit, dass ich am ersten Advent nach dem "Tatort" in die Gala der superreichen und beliebten Schlagersängerin rutschte. Die eröffnete mit "O du fröhliche". Im Hintergrund, aufgereiht wie die Zinnsoldaten, ein Knabenchor in Matrosenuniförmchen, mit denen sie auch auf dem Panzerkreuzer Potemkin hätten anheuern können. Es folgte Leonard Cohens "Halleluja", was die Schlagersängerin auf diese Art ächzte, die das Fernsehen gerne als erstrebenswerte Mischung aus Soul und Erotik verkauft. Ihre Wimpern zitterten andächtig im Close-up.

Im Manesse-Verlag gerade erschienen ist die von Bernhard Robben neu übersetzte Ausgabe des letzten Romans von John Steinbeck: Der Winter unseres Missvergnügens. Ethan Hawley ist witzig, geistreich, ein charmanter Familienvater - und entdeckt bei passender Gelegenheit in sich einen Hang zur verkommenen Skrupellosigkeit. Ums Geld geht es, und nur darum. Und ästhetisch wie moralisch ist das immer ein schlechter Wegweiser. Bis jetzt haben sich eben die anderen Herren der Gesellschaft ihren Anteil gesichert. Jetzt ist der Ich-Erzähler dran. Und man kann ihm, das ist der gemeine Kniff dieses bösen Romans, der sich leichthändig durch die Literatur zitiert, noch nicht einmal dann richtig böse sein, als er selbst das Leben seines ehemals bestens Freundes für Erfolg einlöst. Glücklich, allerdings, macht ihn das nicht.

Wer jetzt den Misanthropen in sich spürt und sich frostige Kälte aber bitte ohne Menschen wünscht, für den ist William E. Glassleys bei Kunstmann erschienenes Buch Eine wildere Zeit. In diesen "Aufzeichnungen eines Geologen vom Rande des Grönland-Eises" geht es um wahrhaft Weltbewegendes. Um die Ungeheuerlichkeit der Plattentektonik. Um Stängelgneise und Scherzonen, Kräfte und Zeitdimensionen, die Glassley mit einer Lust am Schauen in Sätze fasst, die viel von der Ruhe der Steine in sich tragen. Meditative, musikalische Unterstützung zur Wiederannäherung an die Kultur der Menschlein bietet am 26. Dezember Embryo in der Roten Sonne. Wer sich doch weihnachtlich genug fühlt, um etwas Besinnlichkeit zuzulassen, der könnte, wenn es nicht schon ausverkauft wäre, am 22. Dezember zu Erdmöbel in die Milla, oder zur alljährlichen Feierstunde von Willy Michl am 25. Dezember ins Lustspielhaus.

Meine persönliche Besinnlichkeitsfantasie waren Bienenwachskerzen für den kleinen Adventskranz, kein abwegiges Produkt, schien mir, die ich hoffte, mühelos am Christkindlmarkt auf dem Marienplatz zu finden. Eine Standlfrau schließlich blickte mich mitleidig an und sprach: "Da muaßt fast bis zum Stachus. Da steht der Herr Heilmeier. Der hod ois aus Bienenwachs." Tatsächlich: Man muss nur ein Weilchen suchen, dann findet man sie, die Heilmeiers, die einem ein bisschen Weihnachtsgefühl in die Tüte packen.

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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