Vorschlag-Hammer:Vom Stau zur Kunst

Lesezeit: 1 min

Staus böten eigentlich viel Zeit zum Nachdenken, zum Beispiel darüber, wie ich ein Thema anzupacken gedenke. Theoretisch jedenfalls. Praktisch bin ich aber zornig über diese Verzögerungen, die meine Zeitplanung durcheinanderbringen

Kolumne Von Sabine Reithmaier

Haben Sie gelesen, wie viele Stunden die Autofahrer hierzulande laut ADAC im Jahr 2017 in Staus verbracht haben? 457 000 Stunden. Seither bin ich damit beschäftigt, meine persönliche Staubilanz zu erstellen. Ich bin noch nicht fertig, aber da kommt schon einiges zusammen. Staus böten eigentlich viel Zeit zum Nachdenken, zum Beispiel darüber, wie ich ein Thema anzupacken gedenke. Theoretisch jedenfalls. Praktisch bin ich aber zornig über diese Verzögerungen, die meine Zeitplanung durcheinanderbringen. Da geht dann nicht viel mit Nachdenken. Meistens beruhige ich mich erst wieder, wenn ich mein Ziel erreicht habe und die beruhigende Wirkung von Kunst genieße, jüngst etwa im Passauer Diözesanmuseum.

Dort hat Bernhard Kirchgessner, Künstler-Seelsorger der Stadt, eine sehenswerte Giacomo Manzù-Ausstellung zusammengestellt. Kirchgessner ist ein echter Fan des italienischen Bildhauers (1908-1991), den er selbst noch persönlich erlebte. Berühmt ist Manzù in erster Linie wegen seiner Bronzeportale am Rotterdamer, am Salzburger und am Petersdom in Rom. In der Hofbibliothek des Museums sind vor allem Zeichnungen, Radierungen und Plakate zu sehen. Nur wenige Exponate, aber sie genügen, um zu erkennen, was den bekennenden Kommunisten zeitlebens beschäftigt hat. Seine Motive entwickelte er mit wenigen Strichen immer weiter: Antike Sagengestalten, die sehr gegenwärtig wirken, zärtliche Liebende, steife Kardinäle. Überhaupt viele religiöse Themen. Jesus stirbt in Manzùs Darstellung übrigens nicht am Kreuz, sondern wird von Faschisten erhängt. Immer wieder taucht Papst Johannes XXIII. auf, dessen "Mitbestimmungs-Enzyklika" Manzù begeisterte. Die beiden hatten eine enge Beziehung zueinander - Manzù verewigte den Papst auf Zeichnungen, Münzen oder als Büste und nahm sogar dessen Totenmaske ab (noch bis 31. Oktober).

Wer längere Staus eher vermeiden möchte, dem sei eine Ausstellung im Freisinger Schafhof empfohlen. Die russische Künstlergruppe AES+F, das Künstlerpaar Torsten und Nina Römer, Adriane Wachtholz und Thomas Zitzwitz zeigen hier Abstraktes und Figürliches aus den Bereichen Malerei und Video unter dem Motto "Sturmhöhen". Der Titel, Emily Brontës gleichnamigem Roman entliehen, verweist auch auf das Jahresthema des Künstlerhauses: Emotionen (bis 7. Oktober). Und schreiben Sie mir jetzt bitte nicht, ich könnte auch mit dem Zug fahren. Sonst schreibe ich den nächsten Vorschlaghammer über all meine vergeblichen Versuche, genau dieses zu tun.

© SZ vom 29.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: