Vorschlag-Hammer:Traumwandlerisch

Lesezeit: 1 min

Als Studentin im ersten Semester hörte ich Freitagmorgens eine Vorlesung über das Siglo de Oro - eine tiefenentspannende Erfahrung

Von Susanne Hermanski

Jung war ich, doof war ich, und dass ich eines Tages Geld brauchen würde, war mir noch nicht klar. Wahrscheinlich war das der Grund, warum ich mir als Studentin im ersten Semester eine Vorlesung über das Siglo de Oro in der spanischen Literatur anhörte. Zu einer besonders unattraktiven Uhrzeit, schon um 9 Uhr morgens, begann sie, noch dazu immer freitags als einzige Veranstaltung des Tages in meinem Stundenplan. Und gehalten wurde sie von einem Professor der Komparatistik, der schon damals eine Legende seiner Zunft gewesen ist und mit schlohweißem Haar und einem mächtigen Bauch unterm Dreiteiler hinter seinem Pult hockte und derart in seinen Stoppelbart brabbelte, dass ich kaum etwas verstehen konnte. Nur manches tauchte immer wieder aus dem Blubbern seines Wortstroms: "Calderón" und "Das Leben ein Traum".

Die ohnedies schon kleine Schar der Studenten wurde übers Semester immer noch kleiner. Mit anderen Worten: Ich fand es nach drei oder vier Vorlesungen absolut unstatthaft, jetzt auch noch wegzubleiben. Also saß ich da und ließ meinen Blick schweifen. Mir fiel bald auf, dass dieses eigenwillige, sich im Wochenrhythmus wiederholende Theaterstück just im schönsten Saal der Ludwig-Maximilians-Universität über die Bühne ging. Mit einer zierlichen Wendeltreppe, die hoch hinaus führte, mit einer Galerie, mit einem bezaubernden Ausblick. Auf die Bäume vor dem Fenster. Und auf den schönsten Jungen im ganzen Seminar. Der schien unentwegt mitzuschreiben. Mit einem Füller, der übers Papier kratzte, während ich langsam, ganz langsam einschlief.

Jetzt bin ich natürlich längst und vollkommen ausgeschlafen, und deshalb kommt an dieser Stelle auch eine ganz reale Empfehlung: Am Samstag- und Sonntagabend, 5. und 6. November, steht in der Allerheiligen-Hofkirche Der Traum vom Leben auf dem Programm (jeweils um 19 Uhr). Ein symphonisch-poetischer Konzertabend mit Gustav Mahlers persönlichsten Werken. Zusammengestellt hat ihn das kleine, feine Team der Kammeroper München, die alljährlich in der Allerheiligen-Hofkirche ungewöhnliche Herbstkonzerte ausrichtet. Gesanglich wird die Münchner Mezzosopranistin Idunnu Münch im Mittelpunkt stehen, die debütierte in diesem Jahr in Salzburg. Sie wird das Publikum ebenso auf der Reise durch Mahlers leidenschaftliches und berührendes Werk begleiten wie der Schauspieler Michael Brandner. Er verbindet die Lieder mit stimmungsvollen biografischen Zwischentexten Mahlers. Und die sind traumhaft, reif und klug.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: