Vorschlag-Hammer:Steigende Inflationsrate

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Immer mehr und immer schneller: Um Aufmerksamkeit buhlt in immer selbstzerstörerischer Weise auch die Musikbranche

Von Oliver Hochkeppel

Es gab einmal eine Zeit, da zählten im Tennis nur die vier großen Turniere. Die wurden dann auch im Fernsehen übertragen, und im Falle der Australian Open und der US Open schlug man sich dann manche Nacht um die Ohren, um die oft dramatischen Schlachten von Borg, Connors, McEnroe, Lendl, Wilander, Edberg und schließlich eben auch eines gewissen Herrn Becker zu sehen. Dann kam der Tennis-Boom und eine Flut von Turnieren. Bald spielten die Stars gefühlte zehn Mal im Jahre gegeneinander, woraufhin erst die Zuschauer, dann auch die TV-Sender das Interesse verloren. Vor dieser Kannibalisierung steht jetzt vielleicht auch der Fußball: Fünf Tage die Woche Bundesliga, dazu die aufgeblähten Champions- und Euro-League-Spielpläne, monatelange Europameisterschaften mit 24 und Weltmeisterschaften bald mit 40 Mannschaften, eine Club-WM, die womöglich noch zur eigenen Liga wird - all das wird wichtigen Spielen bald ihre Wichtigkeit rauben.

In der Inflation der Ereignisse geht dann auch gerne die gute Kinderstube verloren. Im Kulturfeten-Marathon zwischen Schwabinger Kunstpreisen, Lach- und Schießjubiläum oder Tassilo-Preisen stand soeben auch der Kulturempfang der Landeshauptstadt im Gasteig an. Im zugegeben halligen Foyer der Philharmonie hatte schon Münchens OB Dieter Reiter Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Das Weltklasse-Cello-Quartett der Philharmoniker konnte seinen Gardel-Tango dann im allgemeinen Geratsche kaum selbst hören. Banausenhafte Ignoranz also ausgerechnet bei Leuten, die davon leben, dass andere aufmerksam zuschauen und zuhören.

Um Aufmerksamkeit buhlt in immer selbstzerstörerischer Weise auch die Musikbranche. Von Klassikveranstaltern, die gezielt gegeneinander buchen, über die Flut der bajuwarischen Neuen Volxsmusiker bis hin zum Jazz, wo man sich in Kürze öfter als einem lieb ist zwischen dem gut besetzten Monatsprogramm der Unterfahrt, dem einen oder anderen Brunnenhofkonzert ( Al Di Meola am Mittwoch, 20.Juli) oder dem Jazz-Sommer im Bayerischen Hof entscheiden muss. Sogar Hochkaräter drohen da unterzugehen. So spielt, ebenfalls am 20. Juli, Steve Coleman mit seinen Five Elements in der Lothringer 13. Mag sein, dass seine frei assoziierten, interdisziplinär mit Malern zusammengebastelten Performances etwas aus der Zeit gefallen sind, trotzdem hätte der Saxofon-Revoluzzer aus M-Base-Zeiten etwas Aufmerksamkeit verdient.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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