Vorschlag-Hammer:Seltsam wunderbar

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Ich freue mich auf eine der wunderbar seltsamsten Theatererscheinungen, die es gibt, das "Spielart"-Festival, das am 23. Oktober in München beginnt

Von Egbert Tholl

Ich war grad in Wien. Das ist an sich nicht sehr ungewöhnlich, vor allem dann nicht, wenn man Theater oder Oper anschauen will. Und doch war diesmal etwas anders. Die Zugstrecke über Salzburg ist ja nach wie vor gesperrt, deshalb fährt man nun über Passau, steigt aber in Plattling um. Das allein ist irgendwie sensationell: München - Plattling - Wien, eine interessante Metropolen-Trias. Irgendwo gelangt man dann aber doch auch zum Westbahnhof, dort hängen Plakate in vielen Sprachen, welche die Flüchtlinge begrüßen. Die einzige Sprache, die ich lesen konnte, war Englisch, und der letzte Satz auf diesem Plakat lautete: "You are safe."

Tröstlich. Bei der Rückfahrt, nun vom Wiener Hauptbahnhof aus, kümmerten sich viele Helfer liebevoll um die Flüchtlinge und setzten sie in den Zug, den sie dann in Passau wieder verlassen mussten. Das führte dann zu der Situation, die ich eigentlich erzählen will. Der ICE steht also im Bahnhof Passau, schwer hängt der graue Himmel über den Gleisen, es nieselt kalt. Die durchaus nicht unfreundlichen Polizisten kämmen sorgsam alle Flüchtlinge aus dem Zug, versammeln sie auf dem Bahnsteig - ein Vorgang, der schon ein bisschen Zeit in Anspruch nimmt. Währenddessen fährt auf dem Nebengleis ein Güterzug vorbei Richtung Osten, beladen mit Jeeps, gepanzerten Militärgefährten und echten Panzern mit dicken Kanonen. Dann geht die Tür auf, ein Kellner spaziert herein mit einem Tablett und fragt, ob jemand einen Kaffee will. Links Panzer, rechts draußen Flüchtlinge, drinnen Kaffee.

Die Welt ist manchmal seltsam. Und deshalb - ein etwas kühner Übergang - freue ich mich auf eine der wunderbar seltsamsten Theatererscheinungen, die es gibt, das "Spielart"-Festival, das am Freitag in München beginnt. In diesem Jahr ist es noch besonderer, denn: Dadurch, dass Matthias Lilienthal ja inzwischen die Kammerspiele leitet, ist jegliche post-alles-mögliche Dramatik dort noch heimischer, als sie es bislang schon war. Da aber bei Lilienthal die Post bislang noch nicht so richtig abgeht, man also in der Beschreibung der bei ihm stattfindenden Unternehmungen kaum jene ersehnte Euphorie aufbringen kann, die man zur Feier des Neuen und Ungewöhnlichen bräuchte, fühlt man sich ein wenig wie ein alter, konservativer Knochen. Das mag ich aber nicht, hey, wir sind doch jung und wild. Also: Auf zu "Spielart" und seinen vielfältigen Möglichkeiten, sich über verrückte Dinge herzhaft freuen zu können.

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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