Vorschlag-Hammer:Schwanengesänge

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Auch wenn man derzeit überlegt, wie es wäre, sich in den eigenen vier Wänden zu vergraben, kann Kunst gegen den Weltekel helfen

Von Eva-Elisabeth Fischer

Es könnte sein, dass der Ekel vor kaufrauschiger Massenfolklore auf Christkindlmärkten und darum herum akut in ein dringendes Bedürfnis nach Rückzug umschlägt. Aus Angst. Dabei fällt einem spontan der Ausspruch des Berliner Malers Max Liebermann ein, der da lautete: "Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte." Er meinte damit bekanntlich nicht Glühwein und Lebkuchen, sondern fasste seinen Abscheu angesichts eines Nazi-Fackelzuges in Berlin in ein viel zitiertes Bonmot. Heutzutage wird einem schon speiübel, wenn man den Fernseher anschaltet. Man sieht, wie das ist, wenn nicht Weihnachts- oder Chanukka-Kerzen brennen, sondern Menschen und Häuser. Oder wie das Böse in Gestalt eines Sattelschleppers in eine Menschenmenge rast.

Man überlegt, wie es wäre, sich in den eigenen vier Wänden zu vergraben. Privilegierte können, auch dank digitaler Vernetzung, von zu Hause aus arbeiten, den Lieferservice des nächsten Supermarkts testen und sich online mit der neuesten Musik versorgen. Meredith Monks CD On behalf of Nature (ECM), zum Beispiel. Es ist jetzt genau vier Jahre her, dass die amerikanische Komponistin, Theatermacherin, Tänzerin und begnadete Sängerin anlässlich der ECM-Ausstellung im Haus der Kunst in München konzertierte. Jetzt, mit 74, hat sie als Fürsprecherin der von Menschenhand geschändeten Natur nach langer Pause dieses fantastische Album herausgebracht, das einen in seiner kämpferischen Haltung zwar mobilisiert, aber wegen seines elegischen Grundtons noch trauriger macht. "On behalf of Nature" gibt in einem betörenden Abgesang von 19 wie je vokal auskolorierten Songs selbst noch der Spinne eine Stimme.

Meredith Monk ist jetzt 74, und ihr Gesang irisierend wie je. Die zierlich-zähe Frau mit den langen Zöpfen wächst, vor allem menschlich, immer noch ein bisschen mehr dank ihrer rigorosen Haltung. Sie geht viel hinaus, ins Freie, zu Pferde oder zu Fuß, und genießt das, was an Flora und Fauna in Trump-Land noch übrig ist. Auch das ist eine Option: Hinaus in die Kälte und dem Klang der Bäume lauschen. Denn Angst verknastet. Alternativ, bei Lust auf Menschen und ihre grässlichen Abgründe: Verdis Macbeth, von Martin Kušej für die Bayerische Staatsoper unerbittlich in seiner ganzen Grausamkeit ausgestellt (am 21. Dezember, 19.30 Uhr, und 27. Dezember, 19 Uhr.)

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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