Vorschlag-Hammer:Pure Illusion

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Wenn Gewissheiten erschüttert werden, muss das nicht unangenehm, sondern kann durchaus ästhetisch reizvoll sein

Kolumne von Evelyn Vogel

Vor wenigen Tagen war ich in Graz. Eine reizende und sehr lebendige kleine Stadt. Die Atmosphäre war toll, die Menschen wunderbar entspannt. Mitten auf der Haupteinkaufsstraße stand eine junge Frau mit einem großen Whiteboard und einem Edding-Stift und bat Passanten, auf die Tafel zu schreiben, was sie glücklich mache. Mein Eintrag - "Herzlichkeit" - schien sie glücklich zu machen. Ich erzählte ihr, dass ich noch die Ausstellung im Kunsthaus sehen wolle, die den gleichen Titel trägt wie die gerade zu Ende gegangene in Gräfelfing: Glaube Liebe Hoffnung. Sie war entsetzt. Ich solle da auf keinen Fall hin. Dann überreichte sie mir eine Karte, darauf stand: Ich bin Mormone. Ob die Ausstellung ihren Glauben an Gott oder die Menschheit erschüttert hatte, verriet sie nicht und verabschiedete sich zwar herzlich, aber schnell. Ich fand die Schau in der biomorphen Blob-Architektur zwischen den traditionellen Ziegeldächern der Stadt übrigens absolut anregend. Sollten Sie in der Gegend sein, "Glaube Liebe Hoffnung" ist noch bis 26. August im Kunsthaus Graz zu sehen.

Gewissheiten werden auch in der gerade eröffneten Ausstellung Lust der Täuschung in der Kunsthalle auf die Probe gestellt. Von antiker Kunst bis zu Virtual-Reality-Szenerien (mein Highlight ist der "Chalkroom" von Laurie Anderson und Hsin-Chien Huang) ist hier vieles zu sehen, das die Sinne verwirrt. Wer an die Kunst der Illusion glaubt, wird hier von der Echtheit der Täuschungen begeistert sein (bis 13. Januar). Nicht um Täuschung, sondern um das, was mal war, geht es in der Architekturgalerie. Dort wurde ebenfalls gerade eine neue Ausstellung eröffnet: München farbig 1948-1965. Zu sehen sind rare Farbaufnahmen aus jener Zeit. Sie konzentrieren sich vor allem auf architektonische Eindrücke, und zwar von den Trümmerfeldern der Nachkriegszeit über den Wiederaufbau bis in die Sechzigerjahre. Wer Trambahnen und alte Autos liebt, kommt aber auch voll auf seine Kosten (bis 16. September).

Die Architekturgalerie wird übrigens bald schon wieder Leben in den Bunker an der Blumenstraße bringen. Zur Open Art Mitte September werden dort unter dem Titel The Next Possible City Positionen junger Architektur in München zu sehen sein. Eröffnung ist am 13. September (zu sehen dann bis 6. Oktober). Zur Open Art des Galerieverbands, der in diesem Jahr 30 wird, startet auch das neue Projekt Various Others. Fünf Wochen lang werden Galerien, Off-Spaces und Museen übergreifend und international vernetzt agieren. Mal sehen, was das werden wird. Zwar finde ich den Namen "Various Others" immer noch nicht besonders griffig, aber immer noch besser als den, mit dem sich die Initiatoren im vergangenen Jahr vorgestellt hatten: "Shit Must Stop". Die Hoffnung, dass der provokante Titel für Aufmerksamkeit sorgt, war eine Illusion. Und bei aller Liebe: Wer das geglaubt hatte, täuschte sich gewaltig.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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