Vorschlag-Hammer:Nur wer die Sehsucht kennt

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Der Sog, der von modernen Bildermaschinen ausgeht, ist unwiderstehlich. Das Medium aber ist zweitrangig

Kolumne von Susanne Hermanski 

Die Menschen sind süchtig nach Bildern. Das erklärt ihr obsessives Starren auf Bildschirme aller Art. Kämpften meine Eltern früher verzweifelt dagegen, dass ich vorm Fernseher bei "Der Doktor und das liebe Vieh" stubenhocke, während draußen im Garten die Vögel zwitscherten und weite Felder und Wälder ihrer Eroberung durch mich harrten, höre ich mich heute immer wieder diesen einen, immer gleichen Satz zu meiner Tochter sagen: "Hör auf zu daddeln!"

Der Sog, der von modernen Bildermaschinen ausgeht, wenn sie etwa Dauerdiaschauen wie Instagram ausstrahlen, ist unwiderstehlich. Trotzdem ist das Medium mit seinen elektronischen Eigenheiten dabei zweitrangig. Die magische Anziehungskraft, die Bilder besitzen, zeigt bis heute auch der enorme Zulauf, den manche Kunstausstellungen haben. Florenz und seine Maler in der Alten Pinakothek ist so ein Fall. Vom ersten Tage an winden sich davor die Schlangen von Seh-Süchtigen. Nun endet sie am Sonntag, 3. Februar, und die Reihen der Wartenden davor werden wohl länger sein denn je. Und dies zu recht, denn in dieser Kombination werden diese Werke nie wieder zusammenhängen und kein digitales Abbild wird je denselben Atem der Geschichte verströmen, wie es so ein Gemälde aus der Renaissance vermag.

Die Besucher sollten sich aber nicht nur in der Sonderausstellung ergehen, sondern mehr Zeit einplanen oder schleunigst wiederkommen, um sich die Dauerausstellung noch einmal ganz genau anzusehen. Auch die wird es bald in dieser Form nicht mehr geben. Grund dafür ist die Schließung der Neuen Pinakothek. Um wenigstens einen Teil von deren Schätzen präsentieren zu können, wird in der Alten Pinakothek umgehängt. Betroffen davon werden aller Voraussicht nach unter anderem die Brueghel-Säle sein. Und wer auf den allerletzten Drücker noch schnell nach Wien gehetzt war, um schlotternd in der Schlange vor dem Kunsthistorischen Museum zu stehen, wegen der weltweit ersten großen monographischen Schau des Werks von Pieter Brueghel dem Älteren, der weiß: Die zu sehen, war beinah jeden abgefrorenen Zeh wert. Die Pinakotheken besitzen zwei Werke von Brueghel "d. Ä.", darunter das Schlaraffenland. Dazu kommt die weltweit größte Sammlung von Gemälden seines Sohnes Jan Brueghel, die auch Werke von dessen Bruder Pieter und Sohn Jan beinhaltet. Daran kann man sich nicht sattsehen.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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