Vorschlag-Hammer:Mit aller Gewalt

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"Niemand macht Revolution, niemand will Wahrheit, niemand sucht Frieden." So schrieb sich der Schriftsteller Richard Huelsenbeck 1920 in Rage, als er genug hatte von den Deutschen und ihrer sogenannten Revolution. Man würde ihm gerne energisch widersprechen, was die Revolution vor 100 Jahren angeht, und grundsätzlich sowieso

Kolumne von Antje Weber

Das stets Verlogene, hier wirds Ereignis, das schlau Verborgene, hier wirds getan." Richard Huelsenbeck hatte wahrlich genug von den Deutschen und ihrer sogenannten Revolution. Der Schriftsteller schrieb sich richtig in Rage in seinen "Erinnerungen eines alten dadaistischen Revolutionärs", die 1920 mit dem Titel "Deutschland muss untergehen!" erschienen: "An den ganzen Errungenschaften der Dichter und Denker kein wahres Wort. Das sind die Leute, die mit einem Goetheband im Tornister ihre Mitmenschen auf Bajonette spießten." Die Sache sei doch so in Deutschland: "Niemand macht Revolution, niemand will Wahrheit, niemand sucht Frieden."

Man würde ihm ja gerne energisch widersprechen, was die Revolution vor 100 Jahren angeht, und grundsätzlich sowieso. Unmöglich angesichts der weiteren deutschen Geschichte; unmöglich auch nach der Lektüre eines höchst erstaunlichen neuen Buches wie 1919 von Herbert Kapfer (Kunstmann). Braucht es denn noch ein Buch über diese Zeit? Unbedingt! Denn Kapfer, ehemaliger BR-Hörspielchef, Autor und übrigens auch Huelsenbeck-Fachmann, ist ein Kunststück gelungen: eine große Sinfonie oder eher Gewitterorgie entstehen zu lassen - ohne ein Wort selbst zu schreiben. Er hat statt dessen viele unterschiedliche, zum Teil vergessene Texte zusammengetragen, insbesondere Romane aus den Zwanzigern, und hat Fragmente daraus - darunter Huelsenbecks böse Worte - geschickt zusammengeschnitten. Die jeweiligen Verfasser muss man sich zwar mühsam im Anhang zusammensuchen, und überhaupt macht es ein wenig Mühe, sich immer wieder neu zu orientieren - doch diese Mühe lohnt sich: Wer nicht nur wissen, sondern auch spüren will, was im Jahr 1919 in Europa alles gärte, zwischen Seekrieg und Revolutionswehen, zwischen spartakistischer Agitation und reaktionärer Konspiration, der findet es hier. Und wird das Buch angesichts der immer wieder darin auflodernden Gewalt - ob unverhohlener Antisemitismus oder ungeniertes Morden - am Ende ziemlich durchgerüttelt aus der Hand legen.

Sicher wird Kapfer seine "Fiktion" demnächst in München vorstellen; einstweilen muss nach Schloss Elmau fahren, wer bei der Buchpremiere am 26. Februar dabei sein will. Einen Tag zuvor, am 25. Februar, kann man dafür im Münchner Literaturhaus einmal mehr nachvollziehen, wie es weiterging nach dem so schwierigen Übergang vom Ersten Weltkrieg in einen brüchigen Frieden: Götz Aly stellt dann als Herausgeber sein ebenfalls düster beeindruckendes neues Buch Siegfried Lichtenstaedter: Prophet der Vernichtung (S. Fischer) vor. Dieser Lichtenstaedter, ein angesehener Oberregierungsrat in der bayerischen Finanzverwaltung übrigens, geißelte bereits in den Zwanzigerjahren in einer ätzenden Satire den Antisemitismus in einer Stadt, die trotz des Namens Anthropopolis stark der Stadt München ähnelte. Er sah voraus, wie es den Juden unter den Nationalsozialisten ergehen würde. Und er erlebte am eigenen Leib, wie seine schlimmsten Ahnungen übertroffen wurden: 1938 musste er aus seiner Wohnung in der Münchner Arcisstraße ausziehen, er wurde ins Lager Milbertshofen gezwungen, schließlich deportiert. 1942 starb er, fast 78 Jahre alt, im Block A II des Konzentrationslagers Theresienstadt.

© SZ vom 14.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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