Vorschlag-Hammer:Mächtig' Volk im Staat des Mondkönigs

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Was seit Ende Juni den interessierten Menschen allein in München auf Trab hält, ist imposant. So konnte man als Berufskulturbeschreiberin an einem Abend etwa von den Opernfestspielen zur Filmfesteröffnung eilen, um sich am nächsten Morgen am Staatsempfang in der Residenz wiederzufinden, und gleich danach auf Landpartie gehen

Kolumne von Susanne Hermanski

Bayern ist ein Kulturstaat. Auch wenn in den vergangenen Tagen an politischen Fronten heftige Gründe zum Zweifel tobten - das Postulat in Artikel 3 der Bayerischen Verfassung ist wahr. Was seit Ende Juni allein in seiner Hauptstadt München den interessierten Menschen auf Trab hielt, ist imposant. So konnte man als Berufskulturbeschreiberin etwa am selben Abend von der Premiere der Opernfestspiele mit eigenem Staatsempfang zur Filmfesteröffnung samt Schaukampf Küppers (Kulturreferent) contra Söder (Ministerpräsident) eilen, sich am nächsten Morgen - noch ganz unausgeschlafen - schon wieder in den Reihen des nächsten Staatsempfangs wiederfinden, nämlich in der Residenz, um danach schließlich noch eine dienstliche Partie aufs Land nach Herrenchiemsee in Sachen Staatliche Gemäldesammlungen anzutreten, und dabei wiederum den Lieblingsempfang des Filmfests überhaupt zu verpassen: den von Barbara Stamm, der Präsidentin des Landtags, in den herrlichen Arkaden des ebenselben.

Zu all diesen Stationen könnte ich nun Vorschläge machen, die für jedermann nachvollziehbaren Kunst- und Kulturgenuss bieten. Denn auch wenn sich das alles jetzt so staatsgetragen und geradezu royal lesen mag - all diese Herrlichkeiten sind demokratisch zugänglich und offen zugleich. Auch was in der Residenz geboten war. Denn dort ist nun der Königsbau nach einem Jahrzehnt umfangreicher Sanierung und Restaurierung wiedereröffnet. Wer es am Eintritt-frei-Tag nicht geschafft hat, sollte sich das trotzdem nicht entgehen lassen.

In neuen Sammlungsräumen des von König Ludwig I. und von Leo von Klenze errichteten Klassizismusdenkmals präsentiert die Schlösserverwaltung Kunstschätze aus vier Jahrhunderten. In fünf Nibelungensälen sind die Fresken so hoch angebracht, das sich der Besucher so klein wie Alberich fühlen mag. Aber wer sich Zeit nimmt, die Bilder von Verrat, Tod und Rache genauer zu studieren, ist begeistert. Die Wand- und Deckenbilder, ausgeführt von Julius Schnorr von Carolsfeld und Helfern, zeigen Szenen des im frühen 13. Jahrhundert niedergeschriebenen Nibelungenlieds. Weil es Ludwig I. und die Seinen im 19. Jahrhundert als Nationalepos ansahen, sollten die Säle nach dem Willen des Königs von Anbeginn der Öffentlichkeit zugänglich sein. Weniger begeistert wäre der Kini wohl gewesen, wenn schon damals, wie heute, Funktionskleidungs- und Birkenstocklatschenträger durch sein Schlafzimmer, seine Ankleidekammer und das Schreibkabinett geführt worden wären. Bitte, das trotzdem nicht als antidemokratisches Plädoyer zu deuten.

Noch umwerfender ist derzeit im Freistaat wohl nur eines: Überzusetzen nach Herrenchiemsee, zur Königsklasse IV. In den nie vollendeten, nur im Rohbau existierenden Räumen von Ludwig II. stellen die Pinakotheken noch bis in den Herbst hinein Gegenwartskunst aus. Die ist selbst oft systematisch unvollendet, und sogar der Kontrast, den sie zu den Prachträumen des mondsüchtigen Königs zeigt, ist auf zauberhafte Weise sanft.

© SZ vom 13.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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