Vorschlag-Hammer:Landpartie mit Jazz

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Es muss nicht immer München sein

Von Oliver Hochkeppel

Vor ein paar Monaten hat er also endlich eröffnet, der Lern- und Erinnerungsort für eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte. Ein eigens erbautes, sehr teures Haus am Täterort ist entstanden, nach jahrzehntelanger Verdrängung und Passivität. Tatsächlich ist ein Meilenstein gelungen, architektonisch wie didaktisch: Das im Juli eröffnete "Memorial ACTe" in Point-a-Pitre - auf dem Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik und Rum-Destillerie Darboussier errichtet - erzählt die Geschichte der Sklaverei nicht nur so umfassend und gründlich, sondern auch so plastisch und berührend wie bislang kein anderer Ort.

Oh, Sie dachten an einen ganz anderen Lern- und Erinnerungsort? Sicher, das im Mai eröffnete Münchner NS-Dokumentationszentrum ist ebenfalls ein Meilenstein, allerdings vor allem wegen seiner unendlichen Vorgeschichte. Für einen sinnvollen Vergleich reicht der Platz hier bei weitem nicht aus. Abgesehen davon wäre es echt ein Hammer, hier mit dem Vorschlag zu kommen, mal eben nach Guadeloupe zu fliegen, um sich selbst ein Bild zu machen. Ich komme überhaupt nur darauf, weil es im Memorial ACTe eine Abteilung gibt, in der es um Gwoka, Beguine und Zouk geht, also um jene Musikstile, die Kinder der Sklaverei sind - wie letztlich der ganze Jazz. Wohl deshalb trägt er diesen nie völlig zu tilgenden Freiheitsdrang in sich, der ihn zum natürlichen Feind jeder Diktatur macht.

Gepflegt wird dieses demokratische Erbe in seinen topaktuellen Ausformungen nicht nur in der Stadt. Deswegen schicke ich Sie heute wenn schon nicht in die Karibik, so doch aufs Land nach Pfaffenhofen, wo die Künstlerwerkstatt e.V. seit 20 Jahren erlesene Konzerte bietet. Im Jubiläumsprogramm geht es am Freitag, 25. September, mit etwas Besonderem weiter: Der amerikanische Pianist Peter Madsen und der australische Posaunist Adrian Mears improvisieren über Murnaus Stummfilm-Klassiker "Nosferatu". Ein noch außergewöhnlicheres Refugium des Jazz ist Ina und Emmerich Hörmanns "Raum für Musik" in Zoglau 3 - das liegt bei Taubenbach zwischen Burghausen und Eggenfelden. Schon gut 150 Konzerte zumeist mit den stillen Stars der Improvisationsszene fanden da bislang statt. Und mit einem kleinen Paukenschlag geht es jetzt in die Herbstsaison: Das All-Star-Septett Grund des Berliner Schlagzeugers Christian Lillinger präsentiert dort am Samstag, 19. September, sein neues, am Tag vorher bei Pirouet erscheinendes, wirklich umwerfendes Album. Das lohnt selbst eine längere Anfahrt.

© SZ vom 17.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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