Vorschlag-Hammer:Kunstvorbehalt

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Bei einem Auftritt geht es manchmal auch um den Künstler als Gesamtkunstwerk. Das kann man bei Maceo Parker oder Emil Mangelsdorff erfahren

Von Oliver Hochkeppel

Es ist immer noch faszinierend, den Auftritten von Helmut Schmidt zuzusehen. Keinem anderem würden die Fernsehgewaltigen sonst erlauben, das Studio vollzuquarzen. Man fragt sich, warum Schmidt überhaupt ein Feuerzeug dabei hat, er könnte auch gleich die eine an der anderen Zigarette anzünden. Und kein aktueller Politiker würde es auch nur in die Top 100 der beliebtesten Politiker (geschweige den zum beliebtesten Bundeskanzler aller Zeiten) schaffen, der jede dritte Frage mit "Ich weiß es nicht" (wahlweise auch mit einem schlichten "Das ist alles Unsinn") beantwortet.

Wie oft beschrieben, ist das zum einen das Privileg des Alters. Es ist aber auch der Kunstvorbehalt. In öffentlichen Räumen ist Rauchen bekanntlich nur noch auf der Bühne erlaubt, und für Schmidts Gespräche ist der eingangs gewählte Ausdruck "Auftritt" auch deshalb passend, weil es kaum mehr um Inhalte, sondern um die Ausstellung eines Gesamtkunstwerks geht, um Aura.

Das kann man ganz ähnlich auf den echten Bühnen erleben. Am Freitag, 1. Mai, zum Beispiel bei Maceo Parker in der Muffathalle. Der Mann, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren hinter James Brown und George Clinton das musikalische Mastermind des bis heute gültigen Soul- und Funk-Kanons war, ist auch in die Jahre gekommen. Und eigentlich laufen seine Auftritte - wie die von Schmidt - seit Jahren gleich ab. Und trotzdem treibt einen die Erinnerung immer wieder hin - abgesehen davon, dass der 72-Jährige immer noch drei Stunden lang Druck machen kann und Spaß hat wie wenige halb so alte. Was man schon tags darauf direkt vergleichen kann, wenn mit den Mighty Mocambos im Import Export junge Hamburger Aficionados den Funk der Siebziger wieder aufleben lassen. Noch viel weiter zurück geht es am 22. Mai. Mit dem gerade 90 gewordenen Saxofonisten Emil Mangelsdorff - dem Bruder des legendären Posaunisten Albert Mangelsdorff - kommt mehr als ein halbes Jahrhundert Jazzgeschichte in die Unterfahrt. Würde fast passen, wenn da, wie einst, geraucht würde.

© SZ vom 30.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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