Vorschlag-Hammer:Kritikerblut

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Welches Buch ist das beste? Ach, wenn die Antwort so einfach wäre, dann müsste man nicht immer wieder so erbittert darüber streiten

Von Antje Weber

Welches Buch ist das beste? Ach, wenn die Antwort so einfach wäre, dann müsste man nicht immer wieder so erbittert darüber streiten. Ist zum Beispiel das gesellschaftspolitisch relevante Werk der frisch gekürten Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch auch ästhetisch innovativ genug? Nun, das kommt natürlich darauf an, wie man die Kriterien gewichtet: Soll ein Buch vor allem spannungsreich sein oder lehrreich? Soll es die Sprache revolutionieren oder die Revolution auf der Straße fordern? Niemals werden sich alle einig sein - glücklicherweise, denn einen quälenden Tod durch Langeweile will die Branche ja nun auch nicht sterben.

Folgerichtig wünschte sich kürzlich bei einer Diskussion über Literaturkritik im Literaturhaus der Moderator Florian Kessler "viel mehr Blut und Elend und Verletzungen". Ganz so schlimm kam es an jenem Abend nicht, doch es gab durchaus unversöhnliche Positionen: Auf der einen Seite forderte eine junge Zeit-Kritikerin wie Marie Schmidt von Romanen "sprachliche Neuheit" und einen "symbolischen Raum". Auf der anderen Seite stand oder vielmehr saß eine Schriftstellerin wie Kathrin Passig, die mit all solchen Kriterien nichts anfangen kann. Kritik ist für sie: "was Verblasenes daherreden und zwei Mal Adalbert Stifter zitieren".

Wie also ohne Blut und Verletzungen Bücher und Veranstaltungen auswählen und vorstellen? Hangeln wir uns an ein paar Kriterien entlang: Was gesellschaftliche Relevanz angeht, so liegt Karl Schlögels Ukraine-Analyse "Entscheidung in Kiew" weit oben im Ranking, auch wenn ein Sachbuch in eine andere Schublade gehört als Belletristik (22. Oktober, Literaturhaus). Wem Bildungshintergrund wichtig ist, der ist beim Germanisten Wolfgang Frühwald immer gut aufgehoben, der diesmal über deutsche Dichter im Exil spricht (20. Oktober, Gasteig). Unter dem Kriterium Spannung wird man bei Yorck Kronenberg s Roman "Tage der Nacht" gut bedient - und lernt einen begabten Autor kennen, der einen feinen Sinn für Zwischentöne hat (23. Oktober, Atelier Caveau). Wem es vor allem um ein unterhaltsames Event geht, der ist bei "Meet & Greet" mit Münchner Autoren richtig (23. Oktober, Literaturhaus). Und wer den ästhetischen Genuss von Lyrik liebt, der sollte den Tag zu Ehren Rainer Malkowskis (24. Oktober, Lyrik Kabinett) nicht verpassen: "Seine Gedichte versuchen nichts Geringeres, als die Essenz der Welt zu erkunden", schreibt der Dichterkollege Nico Bleutge. Diese Essenz ist vielleicht nicht immer sofort zu begreifen. Aber, um es mit Adalbert Stifter zu sagen: "Was wäre denn der Künstler, wenn ihn gleich jeder Narr verstünde?"

© SZ vom 14.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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