Vorschlag-Hammer:Intervention mit Narrativ

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Vor allem in der Geisteswissenschaft haben immer wieder neue Modebegriffe Konjunktur. Es ist ein bisschen wie bei Heranwachsenden, die ein paar Monate lang irgendeinen Ausdruck nicht mehr loswerden

Kolumne Von Oliver Hochkeppel

Vor einiger Zeit bin ich vorübergehend mal wieder in meinen erlernten Beruf als Historiker geschlüpft. Wo früher zum Beispiel von einer Aussage, einer These oder Ähnlichem die Rede war, da hieß es nun fast unweigerlich: "das Narrativ". Der Begriff war - wieder einmal - von der Soziologie zugelaufen, irgendwer musste während meiner Latenzzeit draufgekommen sein, wie bedeutend und intellektuell überlegen das klingt. Fortan wollte den Begriff jeder haben, heute hat er sogar Eingang in den Journalismus gefunden, oft allerdings in anderen Zusammenhängen als der "sinnstiftenden Erzählung für eine Gruppe oder Kultur", wie man als Definition findet.

Parallel dazu wird bei Ausstellungen nicht mehr ergänzt oder verbessert, werden Vorführungen nicht mehr gebrochen oder kombiniert, nein, heute macht man da eine "Intervention". Es ist ein bisschen wie bei Heranwachsenden, die ein paar Monate lang irgendeinen Ausdruck nicht mehr loswerden. Dabei sollte man sich doch um Klarheit bemühen. Das gilt für jede Art von Sprache, also auch für die Musik. Eines der stärksten "Narrative" des europäischen Jazz, erzählt seit Jahren der norwegische Saxofonist Jan Garbarek, nebenbei bemerkt einer der bescheidensten und höflichsten Menschen, die ich bisher kennenlernen durfte. Nach dem Auftritt bei den Ingolstädter Jazztagen schaut er mit seiner Group und dem grandiosen Perkussionisten Trilok Gurtu im Herkulessaal vorbei (15.11.). Aktuell einer der aussagekräftigsten Musik-Vordenker ist der Pianist Vijay Iyer. Zu erleben ist er mit seinem Sextett im Doppelkonzert mit dem Schweizer Kollegen Nik Bärtsch und seiner meditativen Hardcore-Groove-Truppe Ronin im Prinzregententheater.

Im Kabarett hat die sprachliche Schärfe wieder zugenommen, seit dort durch den Zugang der Poetry Slammer so viel erzählt wird wie nie zuvor. Man kann "davon ausgehen" (auch so ein vor allem von Politikern verbreiteter Sprachschrott), dass die Kölnerin Kathinka Buddenkotte, bislang vor allem durch sprachlich herausragende Satirebücher wie "Betreutes Trinken" bekannt geworden, in der Lach- und Schießgesellschaft (15.11.) so manche "Intervention" anbringt. Und dass der Leipziger Slammer Julius Fischer, ein Freund und Kollege von Marc Uwe Kling, in seinem Programm mit dem schönen Titel "Ich hasse Menschen" mit Narrativen glänzt, die nicht nur sinnstiftend, sondern auch saukomisch sind (Vereinsheim, 20.1.).

© SZ vom 10.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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