Vorschlag-Hammer:Instinkt für Sänger

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Kevin John Edusei hat die Münchner Symphoniker beträchtlich nach vorne gebracht. Seit gut eineinhalb Jahren ist er auch Chefdirigent des Musiktheaters in Bern

Von Egbert Tholl

Am vergangenen Wochenende sah ich zwei Premieren des Regisseurs Calixto Bieito. Das ist an sich bei ihm nicht weiter verwunderlich, geschätzt kann man von ihm zehn Inszenierungen pro Saison erleben. Beide Premieren jenes Wochenendes fanden in der Schweiz statt, doch es gibt einen wichtigen Bezug zu München. Nicht unbedingt bei der ersten, das war Xenakis' archaische "Oresteia" am Theater Basel. Tags darauf fand am Konzerttheater Bern die Premiere von Richard Wagners Tannhäuser statt, was dadurch möglich war, dass die Inszenierung bereits existierte - sie kam 2015 in Antwerpen heraus. Das ist aber immer noch nicht der entscheidende Punkt.

Der ist Kevin John Edusei. Seit der Spielzeit 2014/2015 ist Edusei der Chefdirigent der Münchner Symphoniker und hat dieses Orchester beträchtlich nach vorne gebracht. Daneben ist er seit gut eineinhalb Jahren Chefdirigent des Musiktheaters in Bern. Und so keimte die Neugierde. Bei allem Respekt vor den Münchner Symphonikern wollte ich dann doch wissen, wie Edusei durch ein Werk mit netto rund dreieinhalb Stunden Musik kommt, wie er mit Sängern umgehen kann und mit Wagner ohnehin. Zum Glück saß ich so, dass ich sowohl das Orchester, Edusei auf dem Monitor und natürlich die Sänger auf der Bühne beobachten konnte. Das Ergebnis war beeindruckend. Zwar fehlte die allerletzte Wollust, aber Edusei dirigierte ungeheuer präzis, genau, überlegt. Er strahlte eine große Ruhe und Souveränität aus, war extrem aufmerksam gegenüber den Solisten und dem Chor, sang größtenteils stumm mit, ließ sich von einer winzigen Unordnung im Chor nicht aus der Ruhe bringen und entwickelte wie nebenbei einen tollen Instinkt für Spannungsaufbau. Das Vorspiel war aufregend, das Orchester schlank besetzt, die Transparenz vorbildlich. Das führte zu einem verblüffenden Erfolg der Sänger. Claude Eichenberger war selbst verblüfft, wie sie als Venus umjubelt wurde; zu Recht, und sie spielte auch toll. Ähnlich der Tannhäuser Daniel Frank. Und wenn ein Opernsänger auch noch mit schönster Überzeugung eine Figur darstellerisch verkörpern kann, dann heißt das auch: Er fühlt sich beim Dirigenten in Sicherheit. Das offenbart dann Freiheit.

Und deshalb muss man wohl Anfang Mai (9. und 10.) zu den Münchner Symphonikern. Da singt Chen Reiss, unter anderem Bergs Sieben frühe Lieder. Und Edusei dirigiert!

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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