Vorschlag-Hammer:Hier und zuletzt

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Die Zukunft wird so schnell zu Vergangenheit. Das wurde mir einmal mehr auch angesichts des Todes von Okwui Enwezor wieder einmal schmerzlich bewusst. Viele der Ausstellungen, die er ins Haus der Kunst holte oder selbst kuratierte, von Louise Bourgeois bis "Postwar", fand ich großartig

Kolumne von Antje Weber

Es ist nicht gut, sich auf etwas zu freuen", schrieb die tschechische Journalistin Milena Jesenská 1926. Ereignisse, auf die sie hingelebt habe, seien im Moment selbst oft längst nicht so schön gewesen wie erwartet. Überhaupt: "Wir hüten die Vergangenheit als Schatz und berechnen die Zukunft, aber vergeuden die Gegenwart auf hoffnungslose Weise."

Daran denke ich oft, besonders präsent war es mir jedoch, als ich vor ein paar Tagen Karten für die Passionsspiele 2020 erwarb. Juli 2020! Weiß ich, ob ich dann noch lebe und wohin unser Planet bis dahin trudelt? Und will ich das so genau wissen? Es ist eine wirklich sehr ferne Zukunft, was die Planung von Theaterbesuchen angeht - doch am anvisierten Termin war die Halle in Oberammergau tatsächlich schon fast ausverkauft. Leichter ist es da doch, die kommende Woche zu überschauen. Unbedingt möchte ich am 27. März ins Literaturhaus gehen: Eine Lesung des klugen tschechischen Schriftstellers Jaroslav Rudi š plus ein Konzert seiner Kafka Band - das verspricht einen unterhaltsamen Abend, auf den ich mich hoffentlich nicht zu sehr freue. Auch die öffentliche Verleihung des Carl-Amery-Preises an Karen Duve am 9. April im Literaturhaus wird sicherlich interessant. Glaubt man übrigens ihrem Zukunfts-Roman "Macht", dann schlingert unsere Welt tatsächlich dem Ende entgegen. Bis zum Jahr 2031 hätten wir allerdings noch Zeit, um die drohende Klimakatastrophe abzuwenden - immerhin.

Doch Zukunft wird so schnell zu Vergangenheit. Das wurde mir auch angesichts des Todes von Okwui Enwezor wieder schmerzlich bewusst. Viele der Ausstellungen, die er ins Haus der Kunst holte oder selbst kuratierte, von Louise Bourgeois bis "Postwar", fand ich großartig. Das künstlerische Vermächtnis, das er mit der Ausstellung von El Anatsui hinterlässt, ist nicht minder glänzend. Denn im Haus der Kunst entfalten sich die großformatigen, prächtigen Wandvorhänge des ghanaischen Künstlers, als seien sie ausgerechnet für diese Säle geschaffen worden. Die auffallend schönen Kunstwerke erweisen sich bei näherem Hinsehen als fragile, flexible Gewebe aus Müllresten; da sie an jedem Ort anders drapiert werden, sind sie, wie ein Begleittext formuliert, "Metaphern für den Lauf der Zeit und die Unvermeidbarkeit des Wandels". Was also bleibt uns, im ewigen Wandel von Zukunft in Vergangenheit? Milena Jesenskás Aufforderung ist eindeutig: "Denke nur an das, was du siehst. Denke einzig und allein daran, erfasse es gänzlich, vergiss alles andere, sei weder traurig noch fröhlich, auch nicht glücklich oder sehnsüchtig, das ist alles Unsinn, sei jetzt gegenwärtig und sei fähig, mein Gott, sei fähig, nur diese Stunde zu sehen und alles auszukosten, was sie in sich birgt."

© SZ vom 22.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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