Vorschlag-Hammer:Großer Bahnhof

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Die finnische Jazzszene macht sich auf, den Vorsprung der Nachbarn Schweden und Norwegen ein wenig aufzuholen - beim "We Jazz Festival" in Helsinki konnte ich das gerade erleben

Von Oliver Hochkeppel

Was dem Kollegen Tholl für die Klassik recht ist, soll mir für den Jazz wenigstens ein bisschen billig sein: ein Reisebericht. Wobei es "billig" nicht trifft, waren wir doch beide in ausgesprochenen Hochpreis-Weltregionen unterwegs. Er als Begleiter der Korea- und Japan-Reise der Philharmoniker, ich beim "We Jazz Festival" in Helsinki. Beide außerdem in Ländern, in denen man nur Bahnhof versteht, also in meinem Fall Rautatieasema.

Ums bestmögliche Musizieren ging es hier wie dort, und wenn der Kollege sich für das Verständnis eines blinden Pianisten mit dem Orchester begeisterte, spielte hier die Sehkraft der Musiker von vorneherein keine Rolle: Bei einem vernünftigen Jazzkonzert müssen sich alle blind verstehen und nur übers gegenseitige Zuhören verständigen können. Das klappte bei den meisten Bands ausgezeichnet, ob beim Verneri Pohjola Quartett mit seinen elegischen, an die klassische finnische Emphase eines Jean Sibelius erinnernden Stücken, bei diversen Duetten des gleichfalls schwer neoromantischen (aber dies mit Monk'scher Sperrigkeit oder einem fetten Walking Bass abfedernden) Pianisten Joonas Haavisto oder beim famos gespielten Hipster-60ties-Sound der Timo Lassy Band.

Die finnische Jazzszene macht sich ja mit Gallionsfiguren wie Iiro Rantala oder Jukko Perkka gerade auf, den Vorsprung der Nachbarn Schweden und Norwegen ein wenig aufzuholen. Freilich ist die Basis immer noch klein; der Schlagzeuger Teppo Mäkynen und der Bassist Antti Lötjönen etwa stellen wahrscheinlich für die Hälfte der professionellen Bands in Helsinki die Rhythmusgruppe, und irgendwie sind auch beim "We Jazz Festival" alle miteinander verbandelt. Leider war der deutsche Beitrag keine Hilfe: Der vom Goethe-Institut entsandte Veteran Gunther Hampel beschwor mit strukturlosem 60er-Jahre-Gelärme wieder die Free-Jazz-Klischees herauf, die dem ganzen Jazzgenre teilweise bis heute nachhängen.

Während zum Musikgenuss des Kollegen Tholl die besten Konzertsäle Asiens beitrugen, waren es beim jungen "We Jazz Festival" betont experimentelle Spielorte, vom Kino (das Aki Kaurismäki gehört) übers Musiker-Wohnzimmer, eine Trambahn oder das Büro eines Lautsprecher-Herstellers bis zum Rockclub. Wenigstens daran kann man zurück in München anknüpfen. Zum Beispiel im atmosphärisch besten Gasteig-Saal, der Black Box, wo wieder das Abschlusskonzert des Internationalen Jazzworkshops der Musikhochschule stattfindet. Gaststar Hector Martignon, ein in allen Genres bewanderter Pianist, Komponist und Produzent, hat mit den Studenten sein neues Programm "The Big Band Theory" einstudiert (17.12., 20 Uhr). Straighter wird es beim Philipp Stauber Quartett und zwar im etwas rustikal gemütlichen, aber klanglich immer wieder überzeugenden Studio 2 des BR-Funkhauses (16.12., 20 Uhr). Richtig kernig, vom Ambiente her wie von der Musik, wird es im Backstage Club bei Swallow the Sun. Das sind sogar echte Finnen, allerdings von der Metal-Fraktion (16.12., 20 Uhr).

© SZ vom 16.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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