Vorschlag-Hammer:Gewohnheitssache

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Schon Goethe fand: "In der Gewohnheit liegt das einzige Behagen des Menschen". Warum sonst lässt man seine Lieblingsschuhe vom Schuster für mehr Geld reparieren als ein neues Paar kostet

Von Oliver Hochkeppel

In der Gewohnheit liegt das einzige Behagen des Menschen", sprach der alte Goethe, und er könnte Recht haben. Warum sonst lässt man seine Lieblingsschuhe für mehr Geld reparieren als ein neues Paar kostet. Warum sonst wünscht man sich, man hätte vom endgültig zerschlissenen Lieblingshemd gleich fünf Exemplare gekauft. Was man nie tut, weil man beim Kauf ja noch nicht weiß, dass es einmal ein Lieblingshemd wird. Wobei dieses Behagen individuell ganz unterschiedlich ausfallen kann, weil ja auch die Gewohnheiten gegensätzlich sind.

Ich zum Beispiel müsste nie umräumen. Wenn die Bude einmal halbwegs her- und eingerichtet ist, lebe ich auch lustvoll mit schief aufgehängten Bildern, deplatziertem Mobiliar oder fehlenden Lampen. Ich will nicht fahrlässig gendern, aber mir scheint, dass vor allem Frauen, einschließlich meiner, sich gerne angewöhnen, ständig alles umzukrempeln, einen mit Heimwerkerwünschen zu beglücken und Sachen anderswo aufzuräumen als da, wo sie sozusagen ordnungsgemäß hingehörten. Während ich mich sehr schwer von altem Kram trennen kann, haben sich andere daran gewöhnt, regelmäßig auszumisten. Man vergleiche meinen Schreibtisch mit seinem unbeschreiblichen Saustall mit dem des werten Kino-Kollegen, der wundersamerweise stets aussieht, als würde niemand daran arbeiten.

Dann gibt es auch noch den Unterschied zwischen Gewohntem und Gewöhnlichem. Ich liebe zwar ein gewohntes Umfeld, aber nur, solange es dort nicht gewöhnlich wird. Mögen andere am liebsten sehen, was sie schon in- und auswendig kennen, ich bevorzuge das Außergewöhnliche. Das kann auch Bekanntes sein: Spannend dürfte zum Beispiel werden, ob der amerikanische Star-Trompeter Christian Scott fünf Jahre nach seinem letzten Münchner Gastspiel seinen "Großmaul-Jazz" weiterentwickelt hat, den ich ihm damals attestierte (4.November, Unterfahrt). Das garantiert Überraschende ist mir indes meist das Behaglichste. Im Bayerischen Hof gibt Nightclub-Programmchefin Katarina Ehmki seit einiger Zeit gewohnheitsmäßig auch Novizen eine Chance. Wie jetzt der Mainzer Sängerin Leona Berlin, die ihr Debütalbum und ihren jazzig-experimentellen, mit Loops und Mouth-Percussion garnierten Neo-Soul vorstellt (5. November). Alles andere als eine Novizin, sondern die prägende Bigband-Komponistin und -Leaderin der letzten 25 Jahre ist Maria Schneider. Aber: Sie war mit ihrem Orchestra noch nie in München. Die Unterfahrt holt beide zur nächsten montäglichen Bigband Night. Wodurch aus einer braven Gewohnheit eine echte Sensation wird. Ein richtiger Hammer.

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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