Vorschlag-Hammer:Für immer jung

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Pose und Selbstinszenierung sind keine Merkmale der Jugend des Pop-Zeitalters

Von Christian Jooß-Bernau

Lachen musste ich schon auf den ersten Seiten des neu entdeckten Früh-Romans von Walt Whitman, als der Begriff "Seifenlocke" fiel. Die Übersetzung im "Verlag das kulturelle Gedächtnis" liefert Hintergrundwissen. Die Seifenlocke war einst Jugendmode und bestand aus zwei langen Haarsträhnen rechts und links, die dann und wann unter dem Kinn zusammengebunden wurden. Ich trug in meiner Jugend zeitweise Poncho, Schlapphut, ein lachsfarbenes, tailliertes Hemd aus den Siebzigern und selbstgebastelte Ohrringe mit skifahrenden Nikoläusen. Hätte ich Das abenteuerliche Leben des Jack Engle in dieser Phase gelesen, ich hätte das mit den Haaren versucht. Die Erkenntnis aus heutiger Sicht: Pose und Selbstinszenierung sind keine Merkmale der Jugend des Pop-Zeitalters.

Ein anderes Beispiel dafür habe ich unlängst auf der Veste Coburg in der Ausstellung Ritter, Bauern, Lutheraner gefunden, die fassbar und auch für Atheisten geeignet, mit allen medialen Mitteln in die Zeit des späten 15. Jahrhunderts führt. Luthers Vater lebte als Hüttenmeister gut davon, andere für sich schuften zu lassen. Martin allerdings gab sich als Sohn eines armen Bergmannes aus, was zeigt, dass schon seinerzeit ein Working-Class-Image für den Beruf des Reformators von Vorteil war.

Ebenfalls wenig Erfahrung in der Arbeiterklasse konnte in seiner Jugend Kurt Eisner sammeln, dem derzeit eine Ausstellung im Münchner Stadtmuseum gewidmet ist, für die man Zeit und eine Lesebrille braucht. "Innerlich selbst jung, hatte Kurt Eisner ein feines Verständnis für die Wesensart der Jugend, die ihm mit offenem Herzen und uneingeschränktem Vertrauen entgegenkam", erinnerte sich Felix Fechenbach an den späteren Ministerpräsidenten, der sich mit Spitzbart und Zwicker angenehm von der Masse patriotischer Stahlhelmträger abhob und den ein reaktionärer Graf 1919 unweit des Bayerischen Hofs erschoss. Im Stadtmuseum liest man sich durch die Hassbriefe, die Eisner vor seinem Tod bekam und zweifelt, ob sich die Menschheit weiterentwickelt. Moralisch wie modisch.

© SZ vom 08.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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