Vorschlag-Hammer:Ausgezeichneter Tastsinn

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Wer hätte das gedacht: Ulrich Tukur ist "Klavierspieler des Jahres"

Kolumne Von Michael Zirnstein

Alle zwei Jahre wieder warte ich gespannt auf die wichtigeste Fehlauszeichnung aller Kulturpreise. Wer wird es wohl diesmal sein, der "Klavierspieler des Jahres"? Wer nun Namen erwartet wie den "Echo Klassik"-Preisträger Nikolai Luganskys (21. Oktober, Prinzregententheater), den Beethoven-Spezialisten Igor Levit (am 25. Oktober mit dem BR-Symphonieorchester im Herkulessaal), oder warum nicht sogar mal einen Tasten-Jazzer wie Marcin Wasilewski (11. Oktober, Unterfahrt), der kennt freilich die Hintergedanken des Bundesverbandes Klavier nicht. In eine Liste von Michael Schanze (Fingerplopper und Moderator), Hera Lind (Schriftstellerin), Otto Schily (damals zupackender Innenminister), Sebastian Krumbiegel (A-cappella-Sänger) und Heiner Lauterbach (Vorzeige-Mann) haben sie heuer den Schauspieler und Boss der Rhyhmus Boys Ulrich Tukur gereiht. All diese Persönlichkeiten hätten sich um das Klavierspielen verdient gemacht, also andere zum Klavierspielen gebracht.

Da bewerbe ich mich doch gleich um die Auszeichnung "Schausteller des Jahres", denn von Wiesn zu Wiesn ermuntere ich die Leser dieser Zeitung, immer wildere Fahrgeschäfte wie heuer das "Chaos Pendel" zu benutzen, obwohl ich längst persönlich den bodennahen Besuch des Herzkasperl-Festzeltes vorziehe, in dem heuer in bierseliger Runde und bei freiem Eintritt so großartige Musiker auftreten wie Fiva und die Jazzrausch Bigband (23. September), Kofelgschroa (26.), Kellerkommando (30.), Hochzeitskapelle (1. Oktober) oder Attwenger (2.).

Mit welcher Begründung auch immer, für den Klavierspieler des Jahres kommt nur einer in Frage: Chilly Gonzales. Der Kanadier machte zwar zunächst Karriere in den Underground-Clubs als Techno-Rap-Punk - als der er mir immer mit seinem hyperaktiven Auftritt im Tropenanzug als Vorsänger von Peaches im schweißtriefenden Flokati-Raum des Münchner Ultraschall in Erinnerung bleiben wird. Längst tobt er aber durch die Philharmonien der Welt und hat mit den Notenbüchlein zu seinen "Solo-Piano"-Platten mehr Menschen ans Klavier gebracht, als Michael Schanze sich Finger zum Ploppen in die Backe geschoben hat. Für Gonzos Konzert im Herkulessaal mit "Solo-Piano III" gibt es noch Stehplatz-Reste (27. April). Wem das zu rockig für diesen Ort ist, dem mag man den Titel des lauten wie launigen neuen Dokumentarfilms über das selbsternannte "Musical Genius" zurufen: "Shut up and play the piano".

© SZ vom 22.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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