Vorschlag-Hammer:Alles Lüge

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Dories Dörrie kuratiert für das Literaturfest das Forum: Autoren unter dem Motto "Alles Echt. Alles Fiktion", und T.C. Boyle erzählt von einer künstlichen Welt ohne reales Vorbild

Von Antje Weber

Alles Lüge! Alles Lügä-ä!" Der Refrain, den Rio Reiser vor 30 Jahren schmetterte, hat sich wieder mal in meinem Kopf festgesetzt. Wobei manch einer selbst das, was Reiser in diesem Lied für unverrückbar wahr hielt, heute wahrscheinlich gerne anzweifeln würde: "Es ist wahr, dass das Jahr über 300 Tage in nur 52 Wochen schafft./ Es ist wahr, dass das Ausland viel mehr Ausländer als Deutsche hat./ Es ist wahr, dass die Sonne nicht um die Erde und der Mond nicht um 'nen Fußball kreist". Tja, ist nicht auch das - alles Lüge?

Dass die Münchner Filmemacherin und Schriftstellerin Doris Dörrie, die für das Literaturfest im November das Forum: Autoren kuratiert, als Motto "Alles Echt. Alles Fiktion" ausgerufen hat, passt in diesen Zeiten nur allzu gut. "Was ist noch wahr?" fragt sie, "wo ist die Realität? Alles scheint Fantasie, Erfindung, Lüge". Wer sich bis November nicht nur der Realität stellen, sondern auch über literarisch vermittelte Wirklichkeit mit dem Thema beschäftigen will, könnte sich Dörries eigenen jüngsten Roman "Diebe und Vampire" vornehmen; mit dem Titel meint sie die Schriftsteller, die ihre Geschichten aus der Realität saugen - und aus den Geschichten anderer Menschen.

Jemand, der sich damit ebenfalls gut auskennt, ist der US-amerikanische Bestsellerautor T.C. Boyle. In seinem neuen Roman "Die Terranauten" erzählt er von einer künstlichen Welt, für die es ein reales Vorbild gab. Natürlich ist seine Geschichte über ein im Mega-Terrarium abgeschottetes Survival-Team trotzdem fiktiv, auch wenn die zum Teil schön menschlich fiesen Charaktere recht wahrhaftig wirken. Boyle wird über seine Doku-Fiktion am 13. Februar in der bereits ausverkauften Muffathalle gewiss mehr erzählen - aber ob das dann auch stimmt?

Wer mehr darüber erfahren will, wie anfällig der Mensch für die Lüge ist, der kann auch am 4., 6. oder 7. Februar in Schillers "Räuber" im Residenztheater gehen. Ist auch schon wieder fast ausverkauft? Dann unbedingt Karten für die nächsten Vorstellungen am 24./25. März sichern. Die martialische und zugleich musikalische Inszenierung (ja, die mit den monströsen Laufbändern) von Ulrich Rasche kann einen schaudern lassen, sie lässt jedenfalls niemanden kalt. Besonders interessant fand ich beim Wiederhören des Textes, dass die Figuren in diesem Stück so bereitwillig den Behauptungen anderer glauben, ohne sie zu überprüfen - mit fürchterlichen Folgen. Ein Stück zur Stunde also und wirklich sehenswert - das ist die reine Wa-ahrheit!

© SZ vom 03.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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