Vorbericht:Big Easy in Weiß und Blau

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Der Münchner Saxofonist Martin Krusche kommt mit seiner Brassband aus New Orleans auf die Wiesn

Von Jonathan Fischer

New Orleanians bezeichnen ihre Heimatstadt gerne als nördlichsten Hafen der Karibik - mithin ein Seitenhieb auf das weiße protestantische Umland. Wie könnte Mainstream-Amerika auch jemals die irrationale Lebenswut von Big Easy verstehen? Seine Blues-Berauschtheit? Die sich selbst jeden Tag aufs Neue erfindende Bastardkultur seiner Straßen? "New Orleans zu verlassen, machte mir ziemlich Angst", schrieb der Romancier John Kennedy Toole in "Confederacy of Dunces". "Denn außerhalb der Stadtgrenzen beginnt das Herz der Finsternis, die wahre Ödnis". Der Münchner Saxofonist Martin Krusche würde nun seine Geburtsstadt nicht unbedingt als Ödnis bezeichnen. Und möglicherweise wird er das Herzkasperl-Zelt, wo er am Donnerstag mit seiner Brassband auftritt, in Nullkommanix in einen seiner Wahlheimat New Orleans würdigen Club verwandeln. Aber er weiß genau, wovon der Romancier spricht. Nach seinem Studium am Hermann Zilcher Konservatorium in Würzburg war Krusche nach New York gezogen, um in der lokalen Clubszene seine Virtuosität zu vervollkommnen und stundenlang über Jazzmotiven zu improvisieren. Freiheit aber klang anders. "Wer brauchte mich dafür?" sagt er im Rückblick. "Es gibt genug andere Leute, die das genau so gut können".

Seine Offenbarung erlebte der Münchner, als er 1995 das erste mal New Orleans besuchte. Dienstags im Glasshouse. Beim wöchentlichen Gig der Rebirth Brass Band. Damals war hierzulande von jungen, die Tradition umkrempelnden Blasorchestern wie La Brass Banda oder Kofelgschroa noch nichts zu hören. Aber im Glasshouse tropfte der kondensierte Schweiß der Tänzer von der Decke. Und die Brassband-Musiker feierten mit ihrem Publikum eine Art Kommunion: Wer hier tanzte, lachte und die Refrains mitsang, war Teil der Band geworden. Zuschauer und Musiker agierten nicht als getrennte Einheiten, vielmehr antworteten die Tänzer den Instrumenten, reagierten wie geschmeidige Liebhaber auf die Riffs der Trompeten und Posaunen, nahmen mit ihren Becken die afrikanischen Rhythmen der Snare Drum auf. "Das hat mich komplett umgehauen", sagt Krusche, "Ich kannte bis dahin eine Szene, in der man einmal im Monat ins Konzert geht und irgendwelche Soli beklatscht. Aber das war gelebter Alltag. Hier zählte nicht der virtuose Einzelkünstler, nein die ganze Kraft kam aus dem Teamwork."

Der Tenor-Saxofonist blieb nicht nur, wie so viele Musiker vor ihm, in New Orleans hängen. Sondern machte sich daran, eine eigene Band zu gründen: The Magnetic Ear Brassband. "Ich kannte natürlich Blasorchester vom heimischen Bierzelt, aber mit denen wollten wir bestenfalls die Besetzung teilen." Eine tanzbare, promiske Art von Jazz wollte Krusche spielen. Und dabei nicht einfach die New Orleans Kollegen kopieren, sich "Oh When The Saints" oder "Lil Liza Jane" draufschaffen, sondern die Offenheit der lokalen Szene für sich nutzen. "Als Deutscher fühlte ich mich von eigenen Traditionen unbelastet, zumindest kannte ich sie nicht ", erklärt der Musiker mit der für ihn typischen Bedächtigkeit. "So kam ich als eine Art tabula rasa ins Spiel." Krusche erspielte sich bald einen Stammplatz in den örtlichen Brassband-Lokalitäten, wo sich das Publikum zum Tanzen trifft, und traditionell Rote Bohnen und Reis "for free" serviert werden. Gleichzeitig hatte er künstlerischen Ehrgeiz: Warum nicht ein paar neue, nie dagewesene Geschmacksnoten mit ins Spiel bringen?

Für seine sechsköpfige Bläsertruppe gewann er hochkarätige Kollegen: Jon Ramm etwa, mit seiner sumpfigen, aus den tiefen Registern kommenden Funk-Posaune. Dessen Duell-Partner Wes Anderson IV, Spross einer traditionellen New Orleans Musikerdynastie und Sohn des gleichnamigen berühmten Tenor-Saxofonisten. Den Bariton-Saxofonisten Dan Oestreicher, ansonsten Bandmitglied von Trombone Shorty. Und Steve Glenn, ein klassisch trainierter Tubist, aus dessen Blechrohr der gewaltige, unberechenbare, aber immer tanzbare Herzschlag der Band dröhnt. Zusammen wagten sie von Anfang an eine Gratwanderung: Gemäß der New Orleans-Philosophie, nach der es keine zwei Genres gibt, die sich nicht gewinnbringend bastardisieren lassen, oszillierten sie zwischen europäischer Jazz-Disziplin und lokaler Swing-Schlurigkeit, zwischen Balkan-Melodien, Second Line Funk und afrikanischen Rhythmen. Wenn die Magnetic Ear Brassband zunächst den Ruf einer überambitionierten "Jazz-Freakout-Band" weghatte - so eng folgte die Band den waghalsigen Melodielinien von Krusches Tenor-Saxofon -, besann sie sich zunehmend auf den Groove-Faktor. "Ohne beliebig zu klingen, nehmen wir uns die Freiheit, alles zu adaptieren, was wir hip finden. Und was die Party am Laufen hält", erklärt Krusche. So kann man bei einem Gig der Magnetic Ear Brass Band neben den Eigenkompositionen des Münchners auch Coverversionen von Nirvanas "In Bloom" oder "Everything in its Right Place" von Radiohead hören. Auch münden die tiefschwarzen Blues-Schleifen eines Jazz-Funeral-Marsches, wie ihn Krusche und seine Kollegen schon öfter, als ihnen lieb ist, für verstorbene Musiker-Kollegen intonierten, in ausgelassene Jubelriffs. Und manchmal auch in einen bayerischen Zwiefachen!

"Ich bin erst über New Orleans wieder zu den bayerischen Bläsertraditionen gekommen", erzählt Krusche. Und daran waren vor allem die vier Oberammergauer von Kofelgschroa schuld. Die jungen Oberbayern kamen 2014 auf Entdeckungsreise nach New Orleans. Klar, dass sie irgendwann auf Krusche stoßen würden. Schließlich ist die lokale Szene eng miteinander verknüpft, unterhält der Münchner außer seiner Brassband auch noch eine Saxofon-Reparatur-Werkstatt, wo sich die Wege von Brassband-Mitgliedern, Rockmusikern und Funkbläsern kreuzen. Kofelgschroa fingen an, mit der Magnetic Ear Brassband zu jammen. Sie wohnten schließlich auch in Krusches Wohnung. Und brachten ein Stück Oberammergau in den musikalischen Kosmos des Exil-Münchners: "Ich habe von ihnen meine ersten Zwiefachen gelernt. Und gemerkt, dass der Geist von New Orleans inzwischen auch in Bayern lebt: Wenn ich mir G-Rag und die Landler-Geschwister anhöre oder eben Kofelgschroa - dann machen die das selbe wie die jungen Bands hier: Sie schreiben ihre eigenen Songs ohne die traditionelle Hörerschaft zu verlieren".

Und noch etwas verbindet die jungen Brassbands diesseits und jenseits des Atlantik. Ihr funktionales Selbstverständnis: "Jazz wurde auf Beerdigungen entwickelt, als die Musiker Kirchensongs zu Second Line Tänzen abwandelten", sagt Trombone Shorty, der auf dem letzten Album der Mag-netic Ear Brass Band gastiert. "Jazzmusiker machten Musik für das Biertrinken in der Bar, andere Musik für den Gottesdienst und wieder andere für den Ausflug mit dem Partydampfer". Es ist diese Demokratie der Stile, die alles, was eine Brassband aus ihren Trichtern lässt, in Pop verwandelt. Und Krusches New Orleans Truppe dort hinbringt, wo sie hingehört: aufs Oktoberfest. Beim Auftritt im Herzkasperl-Zelt jedenfalls werde man auch ein paar Stücke zusammen mit Kofelgschroa spielen. "Wir haben einen Zwiefachen für diesen Anlass arrangiert - unterlegt mit einem Second Line Rhythmus aus New Orleans." Vielleicht die Geburtsstunde eines neuen Genres? Afro-bajuwarischer Funk? Schwärzer jedenfalls geht es kaum!

Kofelgschroa, 14 Uhr, Magnetic Ear Brass Band 17 Uhr, Do., 1. Okt., Herzkasperlzelt, Oide Wiesn

© SZ vom 29.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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