Vorankündigung:Flucht nach vorn

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Das Literaturfest will beim Thema Migration Wege weisen

Von Antje Weber, München

Der Kulturreferent kann es selbst noch nicht ganz fassen. Als er mit Kurator Albert Ostermaier im vergangenen Herbst über das diesjährige Literaturfest diskutiert habe, sei ihnen zwar klar gewesen, dass das Flüchtlingsthema aktuell bleiben würde: "Nicht klar war uns, dass sich das auf so dramatische Art und Weise zeigen würde", sagt Hans-Georg Küppers, als er bei einer Pressekonferenz das Literaturfest 2015 vorstellt. Das sechste groß angelegte Literaturfest wird diesmal vom 18. November bis zum 6. Dezember dauern. Mit "Front:Text", wie der Münchner Schriftsteller Albert Ostermaier sehr schön süffisant sein "Forum Autoren" benannt hat, gerät es so aktuell wie nie zuvor. Und Küppers ist zu Recht stolz darauf, dass sich dies in diesem Herbst nahtlos einreiht in eine ganze Serie von Umkreisungen des Themas in der Stadt: vom Kongress "Open Border" an den Münchner Kammerspielen bis zu einem ausgedehnten Volkshochschul-Schwerpunkt unter dem Titel "Exodus - Menschen auf der Flucht" mit mehr als 120 Veranstaltungen.

"Nicht über die Flüchtlinge reden, sondern mit ihnen etwas gestalten": Das ist nicht nur Kulturreferent Küppers wichtig, sondern auch dem Schriftsteller Albert Ostermaier. Bei "Front:Text" will der diesjährige Kurator zwar einerseits durchaus mit großen internationalen Namen wie Salman Rushdie oder Zeruya Shalev glänzen, er sucht darüber hinaus jedoch auch den direkten Kontakt zu in München lebenden Flüchtlingen: Neben ihm haben sich Autoren von Lena Gorelik bis Uwe Timm mit Migranten getroffen und die Begegnungen in sehr unterschiedlichen Textformen verarbeitet. Andere hier lebende Flüchtlinge will Slam-Meister Pierre Jarawan in einer Schreibwerkstatt ermuntern, ihre Geschichten selbst zu erzählen.

Mit Unterstützung des Goethe-Instituts werden wiederum Münchner Schriftstellerinnen wie Sandra Hoffmann und Carmen Stephan in Krisengebiete fahren und versuchen, ihre Erlebnisse in literarische Formen zu gießen. Gleichzeitig sollen ausländische Stipendiaten der Villa Waldberta an "unsere Brandherde" in Deutschland reisen, plant Ostermaier. Viele neue Formen der Annäherung: "Literatur ist Grenzüberschreitung", sagt Ostermaier dazu, "sie eröffnet neue Räume und zieht keine Mauern." Was die Literatur leisten kann, "wenn sie mit dieser Wirklichkeit konfrontiert wird", will er außerdem in einem Symposium verhandeln lassen, in Lesungen und Poetry Slams - und allem dargestellten Flüchtlings-Elend zum Trotz auch in Partys und Performances: "Die Wirklichkeit muss auch getanzt werden."

Dass die Balance zwischen Schwere und Leichtigkeit gewahrt bleibt, dafür will auch die 56. Münchner Bücherschau im Gasteig sorgen. "Beste Unterhaltung von ausgewiesenen Spitzenautoren" wie Bruno Jonas, Friedrich Ani oder Jojo Moyes kündigt Kurator Thomas Kraft an. Zugleich jedoch sucht die Bücherschau diesmal erstmals thematisch deutlich die Nähe zum "Forum Autoren" und präsentiert explizit Texte, die von Krieg, Gewalt und Vertreibung handeln: In "Die Piroge" erzählt zum Beispiel der senegalesische Autor Abasse Ndione von der Fahrt eines Flüchtlingsbootes; mit kanadischer Hilfe hat man zudem vier Autoren wie zum Beispiel Kim Thuy eingeladen, deren Familien allesamt die Erfahrung von Migration machen mussten.

Literaturhauschef Reinhard G. Wittmann, dessen Programm traditionell die dritte Säule des Literaturfests bildet, will im Vergleich dazu einen Schritt zurücktreten von der Aktualität und die Autoren statt dessen "Tiefenbohrungen" vornehmen lassen, will "existenzielle Grundthemen einer Gesellschaft in der Krise" aufgreifen. So wird Tanja Kinkel einen neuen Roman vorstellen, der sich einmal nicht mit einem historischen Stoff, sondern der RAF beschäftigt. Der slowenische Autor Drago Jančar kommt mit einem Roman über den Widerstand im besetzten Jugoslawien der Vierzigerjahre, laut Wittmann eine "Parabel über das, was Bürgerkrieg bedeutet". Dem italienischen Bestsellerautor Umberto Eco wiederum geht es in seinem neuen Buch um das Spiel der Medien, die in ihren Berichten ganz bestimmte Bilder in den Köpfen provozieren.

Keine Frage, das Literaturfest 2015 ist prominent besetzt und auch, was den Etat angeht, durch diverse Sponsoren und einen Zuschuss der Kulturstiftung des Bundes diesmal besonders gut ausgestattet. Der Versuch, engagiert das Flüchtlingsthema aufzugreifen, kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Was daraus als work in progress entsteht, ist noch nicht abzusehen: "Nicht nur ein Feuerwerk" solle es werden, hofft Kulturreferent Küppers. "Impulse geben, Eindrücke hinterlassen", mehr könne Literatur nicht leisten: "Handeln müssen wir selbst."

© SZ vom 30.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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