Von French Connection bis Tatort:Denn sie wissen, wie alles zusammenhängt

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Einsam sein und dennoch Teil des Ganzen: Keine andere Filmgattung gibt uns so sehr das Gefühl, bei der Arbeit zu Hause und gleichzeitig auf Entdeckungsreise zu sein. Eine Ermittlung im Genre des Polizeifilms. Von Dominik Graf

Von Dominik Graf

Wenn man einen Polizeifilm auf den Straßen einer großen Stadt dreht, dann nimmt man an den Drehorten manchmal eine Mischung aus Energie, aus Schweiß, aus Alkohol und aus alles überschattender Melancholie wahr.

Gene Hackman in French Connection: Der Kommissar macht seine Arbeit im Wissen um alle Zusammenhänge. Er ist ein Feldforscher der soziologischen Katastrophen. Am Gang der Dinge wird er nichts ändern. (Foto: Foto: Archiv)

Es ist immer gleichsam die Energie der Hauptfiguren, die man dabei einatmet, es ist die vermeintlich brennende Luft der Rotlichtviertel, es ist der Schweiß all der vielen harten Arbeit, die hier verrichtet wird, es ist der Dreck der Straße, es sind die kleinen und die großen Freuden des Milieus, und es ist die Aura des menschlichen Rätsels, das jeder kriminelle Fall immer von neuem zu bergen scheint.

Es ist eine Geruchsmischung von vertrauten und von gänzlich fremden Schauplätzen, die uns in einem Polizeifilm begegnet, der Dunst von Orten, die wir normalerweise in unseren abgesicherten Leben gar nicht betreten würden.

"Ich brauche niemanden"

Es ist eine Duftwolke aus Körperflüssigkeiten, aus dem Staub all der gesichtslosen Büros der namenlosen Heldenbullen, aus dem Billigparfum der Nachtclubs, aus dem Muff der Mietwohnungen und Absteigen und aus dem teuren, faulenden Atem der Villen am Stadtrand. Drehorte anderer Genres geben einem niemals so sehr das Gefühl, bei der Arbeit zu Hause und auf Entdeckungsreise gleichzeitig zu sein.

Regisseure des Polizeigenres ähnelten schon immer ein wenig den Polizistenfiguren, die sie beschrieben: sie arbeiten im Kinogeschäft gewissermaßen als "ghosts in the machine", das heißt, sie sind Teil der Unterhaltungsmaschinerie, sie akzeptieren zwar die Übereinkunft mit den Spannungshoffnungen und mit den Identifikationssehnsüchten des Zuschauers, aber wenn sie gute Regisseure sind, dann verwandeln sie beim Erzählen die Gesetze des Genres zu außerordentlichen und zutiefst einsamen Filmen.

"Ich brauche niemanden", sagt Claude Brasseur in Philippe Labros "La Crime" trotzig in der ersten Einstellung zu seiner Katze auf dem Küchentisch. "I am a rock, I am an island" ist die ebenso kindische wie abgehärtete Haltung dieses Polizisten. Einsam sein und dennoch Teil des Ganzen.

Isoliert sein, sich von allen unverstanden fühlen, das ist das Programm des Kommissars als Leitwolf, der selbst eines der Grundelemente in der chemischen Verbindung ist, die den unverwechselbaren Geruch der Städte ausmacht.

Der Kommissar macht seine Arbeit im Wissen um alle Zusammenhänge, um alle Drähte der Politik, der Unterwelt, des großen Geschäfts. Er ist ein Feldforscher der soziologischen Katastrophen. Er wird am Gang der Dinge nichts ändern. Er steht einsam im Zentrum des Sturms, der die Gesellschaft durchzieht und sieht den Müll vorbeifliegen, den dieser Sturm aus den hintersten Ecken aufwirbelt.

Im Polizeifilm fließen die Elemente Politthriller, soziologisches Statement, Actionfilm, Existenzialismus, Anthropologie, Kritik am eigenen Ermittlungsapparat, Kritik an der Hierachie der Staatsbürokratien und vor allem die Melancholie, die Liebessehnsucht des Einzelnen in ein absolut einzigartiges Amalgam ineinander.

Je besser der Film ist, in desto mehr Facetten gespalten begegnet sich schlussendlich der Held, der Polizist selbst wie in einem venezianischen Spiegel am Ende eines dunklen Ganges wieder. Und wenn man genau hinsieht, meint man neben ihm oft das Gesicht des Regisseurs zu erkennen. So wie William Friedkin auch Gene Hackmans Popeye Doyle war, so wie Maurice Pialat auch Depardieus Polizist war in "Police".

Der Regisseur eines Polizeifilms steht wie sein Kommissar im Brennpunkt der Gesellschaft, die er untersucht, und er steht gleichzeitig außen wie ihr eisigster Analytiker. Er kennt die Wohnblöcke und er kennt die Villen. Er hört den stampfenden Rhythmus einer sozialen Gemeinschaft, die sich da um ihn herum austobt, und zu der wir alle gehören, ob wir wollen oder nicht.

Der große Thrillerautor Ross MacDonald hat es auf den Punkt gebracht, als er seinen Privatdetektiv Lew Archer von einem Chauffeur in einer Luxuslimousine abholen lässt, um ihn zu einer der Millionärsvillen in den Santa-Monica-Hügeln zu kutschieren.

Zusammengehörigkeit aller kleinsten Partikel einer Gesellschaft

Archer weiß schon, dass ihn dort wieder ein Drama von Lieblosigkeit und Habgier erwarten wird, und als er so aus dem Fenster sieht und die Landschaft der Reichen an sich vorbeiziehen lässt, da schreibt MacDonald: "Der Rauch im Tal sah aus, als ob dort jemand Geld verbrennt." In diesem Satz ist die soziale Klasse der Herzlosen, die dieses Buch mit den Augen des Detektivs gnadenlos genau beschreibt, bereits in all ihrer Großkotzigkeit und in ihrer verzweifelten Sinnleere ins Mark getroffen.

Diese Zusammengehörigkeit aller kleinsten Partikel einer Gesellschaft, die unausweichliche soziale, politische, psychologische Aufeinanderbezogenheit jedes Penners und jedes Brokers, der an ihm vorüberhastet, das kann nur der Polizeifilm so hart und genau und unsentimental schildern, wie es sein muss.

Im Kino sah es ja in den Polizeithrillern der Sechziger bis Achtziger manchmal so aus, als brodelte das Leben förmlich aus dem Asphalt der Städte wie heiße Flüssigmasse. Das Blut und die destruktive Energie der Tatorte scheinen aus den Innereien unter dem Gehsteig gewissermaßen im Gleichschritt mit dem Herzschlag der Metropolen hervorzublubbern wie aus einem defekten Hydranten. All diese großartigen Filme von "French Connection" über Dutzende von klassischen Beispielen bis hin zu Maurice Pialats "Police" haben den Ruhm des Genres und seine Beliebtheit begründet.

In Wirklichkeit, kann man sagen, ist das mit dem angeblich so heißen Leben auf dem Kiez natürlich alles ganz anders. Und man kann auch ruhig feststellen, dass manche Polizeifilme, die eher langsamer und schweigsamer daherkommen, viel näher an der Wirklichkeit dran sind als jene Maniac-Cops der berühmtesten Filme. Aber das ist letztlich gleichgültig, denn was auf der einen Seite der vereiste Extrakt der Gangsterfilme von Melville ist, in dem die Figuren wie schweigende Schattenwesen durch die Nächte des Milieus huschen, das ist auf der anderen Seite der irre gewordene Gene Hackman bei seiner mörderischen Suche nach dem europäischen Drogenboss. Sie sind nur zwei Seiten ein und derselben Münze.

Der Regisseur Alain Corneau sagte, der Polizeithriller sei der Blues des Kinos. Polizeifilme haben Regeln, genauso wie der Blues im Prinzip nur aus drei Harmonien in festgelegter Abfolge besteht. Polizeifilme sind beispielhafte Übungen in Charakterzeichnung, Dialog und Ortsbeschreibung. Zu seinen Charakteristika gehören Lakonie und eine unter harter Unsentimentalität verborgene tiefe Trauer. Er beherbergt alle wirklich im Schweiße ihres Angesichts lebenden Figuren.

Seltsamer Gefühlsmix von Heimat und Einsamkeit

Und jeder gelungene Film des Genres schließt in sich auch die Erkenntnis ein, die allen Personen gleichermaßen innewohnt: dass nämlich die menschenzerstörenden Mechanismen in jeder Gesellschaft sich letzten Endes überall und immer durchsetzen. Das weiß der Polizist und das weiß auch sein Gegner. Der Polizeifilm gibt einem einen seltsamen Gefühlsmix von Heimat und Einsamkeit, von Fremde und Vertrautheit, von Fado, Blues und Katastrophenszenario.

Bei näherem Hinsehen wird Corneaus Vergleich sogar immer besser: "Vor dem Jazz gab es den Blues. Der Blues ist nicht der ganze Jazz, aber die Musiker greifen immer wieder darauf zurück. Der Polar ist der Blues des Kinos..." Polar, so heißt der Polizeifilm bei den Franzosen. Alain Corneau weiß, wovon er spricht, denn er hat mit "Police Python 374" (eine Dienstwaffe der französischen Polizei) und "Wahl der Waffen" zwei Klassiker des französischen Thrillers gedreht.

Das Kino der Achtziger lieferte überall einen bislang letzten Höhepunkt des Polizeifilms. In Frankreich entstand ein Meisterwerk nach dem anderen, von "Wahl der Waffen" bis zu "Nikita". In den USA war "Live and Die in L. A." 1985 nach "French Connection" bereits der zweite Meilenstein des Genres von William Friedkin.

Noch Ende des Jahrzehnts hob der englische Newcomer Mike Figgis mit "Internal Affairs" endgültig die klassischen moralischen Vorstellungen von good cop/bad cop in Hollywood aus den Angeln, während in New York der Einzelgänger Abel Ferrara seinen definitiven Stadtneurotiker mit Sheriffstern erschuf: Harvey Keitel als "Bad Lieutenant". Sogar in Deutschland gab es in den Achtzigern noch Grund zur Hoffnung, dass der Blues des Kinos dieses Land irgendwann noch mal erreicht.

Die Achtziger gaben uns alle Chancen: sie erfanden nach den ausufernden Siebzigern das lakonische und ökonomische Erzählen bis hin zum Minimalismus neu. Der Polizeithriller benötigt beides: sowohl erzählerische Disziplin als auch ausufernde Charaktere. Das Genre hat Gesetze, die ebenso dazu da sind, sie zu brechen, sie ständig zu erneuern, wie sie perfekt renoviert ständig zu wiederholen. Es stellt sich dann aber bald heraus, dass die Achtziger die letzte große Zeit der "Straße" im Kino waren.

Ab den Neunzigern wurde die Filme gesäubert. Originalton wurde immer seltener. Alle Insignien der Straße, der Schweiß, der Dreck, der Staub in der Luft flogen raus. Der Polizeithriller verkam weltweit zum Serienkiller- und Kindsmissbrauchs-Special. Es entsprach der leidenschaftlich unpolitischen Dummheit dieses Jahrzehnts, dass in den Filmen der Neunziger nur bizarre Morde von gehirnkranken Einzeltätern aneinandergereiht wurden.

Soziologie, das Geflecht der sozialen Abhängigkeiten der Figuren, verschwand völlig aus den Filmen. Die Geschichten konnten am Ende überall spielen. Die Dialekte, die Sprachen, die Milieus der ganzen Welt wurden einander angeglichen. Die Gehirne der Autoren und Regisseure wurden allmählich von einer Art weltweitem Tarantino- und David-Lynch-Epigonentum gefressen, und niemand beschäftigte sich mehr mit der Situation der "Gemeinschaft" um ihn herum, sondern nur noch mit privaten Obsessionen. Es war ja auch nur logisch, dass in einer kapitalistischen Hausse alles getan werden musste, um dem Kino die sozialkritischen Zähne zu ziehen.

Wo beispielsweise die Schweden Maj Sjöwall und Per Wahlöö in ihren Krimis in den Siebzigern noch alle Erzählkunst aufgeboten hatten, um die Verbrechen einer Gesellschaft miteinander in Beziehung zu setzen, da versteckt sich die Thrillerkultur inzwischen sozusagen hinter der zu neuen Ehren gekommenen biologischen Vererbungslehre, die all unsere bösen Taten und schlechten Gedanken einem unabänderlichen Schicksal oder dem Zufall zuordnet.

Die unheimlichen, die unberechenbaren Gene machen den Einzelnen zu einem Killer, es sind auf keinen Fall die sozialen Umstände. Das ist scheinbar für uns alle bequemer so, denn so ist niemand mehr verantwortlich.

Jetzt, in diesem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, scheint nun der Thriller weltweit in Stilisiertheit zu vereisen. Jetzt, wo die Penner bei uns aus den Bahnhöfen gejagt werden, da sehen unsere Filme auch alle so seltsam gesäubert aus. Egal ob im Kino oder im Fernsehen. Ein großer Scheibenwischer hat sie scheinbar alle blankgefegt.

Bundeskanzleramtsästhetik. Wir sehen nur noch schreiende kleine Charaktere hinter großen Glasscheiben, stumm und hilflos und geruchsneutral auf Distanz. Der klägliche Rest des europäischen Thrillers bezieht sich heute auf die großbürgerlichen Untiefen Chabrols oder auf die schweigenden Puppen Melvilles, nicht mehr auf jene tobenden Polizisten der Siebziger.

Aber Melvilles Konstrukte sind eigentlich gar keine so guten Vorbilder, sie taugen nicht zur Imitation, glaube ich. Schon gar nicht in deutschen Polizei- oder Gangsterfilmen. Denn Delon und Belmondo und die anderen sind zwar Figuren, die ihr Innenleben zu verbergen scheinen wie die Replikanten in "Blade Runner", aber sie rühren einen auch gerade durch ihre Ungerührtheit und ihre Lakonie.

Und dieses Paradox kommt vielleicht daher, dass Melville diese Figuren wie ein Substrat, wie einen Extrakt, wie einen gepressten Brühwürfel aus all seiner Lebenserfahrung, seiner Milieuerfahrung und seiner Kinoerfahrung heraus entwickelt hat. Sie sind quasi wandelnde Briketts seines gnadenlosen Existenzialismus. Stilisierung im Thriller klappt nur im Zusammenhang mit einer so rigorosen Haltung des Regisseurs zu dem, was er erzählt. Ohne Philosophie und ohne ein so genau definiertes Menschenbild wie bei Melville versickert die Stilisierung schnell zum hohlen Formalismus.

Zielstrebig und fast unbeirrt hin zum Doofkommerz

Wenn jemand nachträglich eine Art roadmap des deutschen Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg anfertigen würde, das heißt, wenn man eine Landkarte der gegangenen und vor allem auch der nicht gegangenen und der im Dunkeln versackten Wege des deutschen Kinos malen könnte, dann würde man vielleicht feststellen, dass unsere Filmkultur jeweils an neun von zehn Weggabelungen die falsche Abbiegung genommen hat.

Zunächst in den Fünfzigern ging es zielstrebig und fast unbeirrt hin zum Doofkommerz; später klebte man viel zu lange an der schon längst Routine gewordenen internationalen Reputation des Autorenfilms; danach warf die Branche sich der teutonischen WG-Komödie 15 lange Jahre in die Arme. Und seit Mitte der Neunziger laufen nun die Stränge der Branche ein wenig zweigleisig. Einerseits sind wir sehr künstlerisch ausgerichtet in Richtung möglichst festivaltauglicher Filme, andererseits sehnen wir uns hin zum exportfähigen Großfilm und zum deutschen Themenfilm, und verdienen ein letztes bisschen Geld noch beim schnell zu verwertenden Teeniefilm.

Die möglichen anderen Wege des deutschen Films werden aber stets dann sichtbar, wenn man die eher versteckten Perlen der Vergangenheit genauer betrachtet. Es sind zumeist Genrefilme: Rabenalts Horrorfilm ¸¸Alraune" in den Fünfzigern mit Hildegard Knef, Hans H. Königs düstere Heimatfilme, Klaus Lemkes irre Hamburger Kieztouren in den Siebzigern, Roland Klicks Filme, klar.

Mit dem Ende der Siebziger und dem Erstarken der Thriller im Fernsehen fanden dann die echten Gegenentwürfe zur offiziellen Branchenrichtung fast nur noch im Wohnzimmer statt. Und so wie die Kölner Filmzeitschrift Gdinetmao vor einigen Jahren eine Filmografie aller Folgen des "Kommissar" erstellte, so wären noch viele Rettungstaten möglich. Auch beim allmählich zum wehleidigen Softformat abgetakelten "Tatort" wären Großleistungen denkbar, um einzelne Filme vor dem Vergessen zu retten.

Kein Fünkchen Vertrauen

Aber ich hatte andererseits auch immer das Gefühl: man muss sich als Regisseur von Polizeifilmen in Deutschland darüber klar sein, dass sich all diese Serienepisoden, diese Fernsehfilme, diese Kinothriller, die man da mit Leib und Seele inszeniert, neben der anerkannten deutschen Filmkunst eher im Dunkeln abgelagert wiederfinden werden. Wie Groschenhefte. Unsere besten Polizeifilme werden irgendwann nur noch in Digitalbeta-Sendekopien der Fernsehanstalten vorhanden sein, bis sie schließlich nicht mehr gesendet werden und aus Platzgründen aus den Archiven verschwinden.

Die wenigen Regisseure und Autoren, die an eine Chance für deutsche Polizeithriller und Milieufilme geglaubt haben, die haben den Blues des Kinos sozusagen unter der wissentlichen Prämisse gesungen, dass ihre Lieder vergessen und verschrottet werden. Niemals und nirgendwo in der deutschen Filmgeschichte war auch nur ein Fünkchen Vertrauen der Branche in ein deutsches Thrillergenre fürs Kino vorhanden.

Die Finanzierungen solcher Filme waren stets derart kompliziert und langwierig, dass es nur der Beharrlichkeit der Produzenten und der meist kurzzeitigen Popularität einzelner Schauspieler zu verdanken ist, dass der eine oder andere Versuch überhaupt zu Stande kam. So ist das nun mal: um mit aller Leidenschaft Polizeifilme in Deutschland zu machen, muss man in gewisser Hinsicht Geschmack am Lebensgefühl eines fröhlichen Verlierers gefunden haben.

Aber vielleicht war es ja auch so, dass jene Kinoszene von 1985 bereits das große Finale eines Genres und seines Mythos gewesen ist: Gérard Depardieu am Ende von Pialats "Police", wenn er auf der kleinen dunklen Straße in Paris vor einer unbeleuchteten Auslage steht, fassungslos über seine großen Gefühle und über die Kälte des Gangsterliebchens (Sophie Marceau), die ihn betrügt und die ihn jetzt verlassen wird. Sie sitzt irgendwo hinter ihm im warmen Auto, sie weiß wohl gar nicht, was in ihm vorgeht, und es ist ihr wahrscheinlich auch egal.

Depardieu, der sich in diesem Film hundert Minuten lang wie der rasende Roland durch die Polizeibüros und durch das algerische Milieu brüllte, berserkerte, witzelte und prügelte, steht jetzt mit Wasser in den Augen auf der Straße. Im Niemandsland. Im dunkelsten Augenblick der Nacht. Er ist mit sich am Ende. Im Off beginnt die einzige Szenenmusik des gesamten Films. Henryk Goreckis berühmte Sinfonie, die eigentlich den Opfern von Auschwitz gewidmet war...

Aber was für eine Kraft steckt in Depardieus gefangener Figur! Destruktive Kraft, klar - aber was für eine Kraft! Denn auch seine Verzweiflung in der Liebe, seine Einsamkeit in diesem Augenblick wird geschluckt werden von den donnernden Rythmen der "Gemeinschaft", die über uns hinwegbrausen wie Züge über eine Brücke. Er weiß das. Sein Gesicht sagt es. Morgen früh geht er wieder in sein Dezernat und arbeitet weiter.

Dominik Graf hat sich in seiner Film- und Fernsehregiearbeit ("Tatort", "Der Fahnder") selbst im Genre des Polizeifilms bewährt. Zurzeit dreht er "Der Rote Kakadu", eine Liebesgeschichte aus der Zeit des Mauerbaus.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.167, Donnerstag, den 22. Juli 2004 , Seite 12 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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