Volkstümliche Musik:Stimmbruch mit Schmelz und Schmalz

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Musikanten-Stadlheim, lebenslänglich: Wer gehofft hatte, das öffentlich rechtlich übertragende Schunkeln der Schlagerbeseelten würde sich mit dem Lebensabend der Schunkelnden von selber erledigen, sieht sich getäuscht: Die sogenannte Volksmusik wird tatsächlich immer jünger.

CHRISTIAN KORTMANN

Es kann jeden treffen, jederzeit. Man muss nur aus Versehen den falschen Fernseh- oder Radiosender erwischen, und schon dröhnt einem ein volkstümlicher Schlager in den Ohren, der die Schönheit der alpenländischen Heimat oder Mami als die Beste feiert.

Entertainer Florian Silbereisen (unten) und der junge Sänger Toni, Codename: "die klaane Flugficht", während der Generalprobe zur ARD-Volksmusikshow 'Das Hochzeitsfest der Volksmusik' in der Cottbuser Messehalle. Toni, Sohn von 'Randfichte' Thomas 'Rups' Unger, zählt mit seinen sieben Jahren zu den neuen Talenten in der Volksmusik. (Foto: Foto: dpa)

Schnell zappt man weiter, doch eine Frage bleibt stets im Raum: Wer hört beziehungsweise guckt sich die diversen Volksmusiksendungen eigentlich an? Man kann nur vom Stadlpublikum auf die millionenfache Realität vor den Fernsehgeräten schließen: animiert von ältlichen Moderatoren wie Karl Moik, Carolin Reiber und Carmen Nebel, schunkeln sich zahllose Busladungen Senioren an bunten Tischdecken in volkstümliche Trance.

Denn dies ist Musik für den gegen feinere ästhetische Eindrücke gepanzerten Körper, der sich nur mehr durch Mitklatschen in Schwingung versetzen lässt.

Das Volkstümelnde adaptiert die einfachen Harmonien und die charakteristischen Instrumente der alpenländischen Folklore und setzt sie für den Transport ihrer einfachen Botschaften ein. Vor allem geht es hier um das Konstrukt einer völkischen Heimat.

Ja, Heimat ist in dieser Musik noch ein Begriff, den man laut singen darf. "Kein schöner Land" heißt bezeichnenderweise eine Sendung, und Karl Moik bezeichnet Italiener gerne mal als "Spaghettifresser".

Im Volkstum haben Reste einer Blut-und-Boden-Kultur überlebt, die zu recht depraviert ist, hier aber noch gepflegt wird, wie in einem Reservat, das solche Strömungen auffängt und folgenlos entsorgt.

Nun hatte man gehofft, dass die volkstümliche Musik mit ihrem Publikum allmählich aussterben würde - selbst Heino sorgte sich jüngst in Super Illu: "Ich kann nicht mehr ewig singen, möchte aber, dass die Volksmusik weiterlebt." Um so größer sind jetzt Unverständnis und Schrecken, mit denen man der neuesten Generation der volkstümelnden Musikanten gegenübersteht, denn diese werden immer jünger! Eigentlich gehört das zu den Dingen, von denen man gar nichts wissen will.

Etwa davon, dass in einer Nische der Musikindustrie ältere Produzenten damit beschäftigt sind, von kleinen blonden Jungen politisch zweifelhafte Heimatlieder einsingen zu lassen. Gerit Melcher, Christian Gebhardt oder Jantje Smit heißen diese neuen Heintjes.

"Zeig mir noch einmal die Heimat", trägt Melcher mit rührseligem Vertriebenenverbandspathos vor. Der unschuldig-selbstverständliche Umgang mit dem Heimatbegriff wird von Revisionisten als Wohltat empfunden werden.

Doch Kinder verstehen ja gar nicht, was sie da singen. Fraglich also, was sie zu solchen ästhetischen Schreckenstaten animiert: Schlagen sie bewusst eine Karriere als Volkstumsbarden ein oder werden sie absichtlich jung verführt und auf Linie getrimmt, weil sie später auf antivölkische Gedanken kommen könnten?

Jedenfalls entstehen so Kinderstarkarrieren, die die Interpreten spätestens in der Pubertät als Greise auswerfen: Die heute 15-jährige Romy steht mittlerweile seit zehn Jahren auf der Bühne, schon als kleines Kind wollte sie in einem Lied "So wie Herr Claydermann" sein. Jetzt ist sie so jung und ausgeflippt, dass sie singt: "Ich möchte mal was ganz Verrücktes, Supercooles machen!"

Vorbild und Aushängeschild der jungen volkstümlichen Musik ist heute der ARD-Moderator Florian Silbereisen. Seit früher Jugend spielt der 23-Jährige die steirische Harmonika, doch auch sein künstlerisch-folkloristischer Hintergrund konnte ihn nicht vor den Verirrungen der Medienwelt bewahren. Von Karl Moik für das Fernsehen entdeckt, setzt er dessen reaktionären Moderationsstil nun mit jungem Gesicht fort: Er bedient sich einer ähnlichen Gestik wie dieser, macht genauso bemüht komische, unwitzige Ansagen und fordert mit Dauergrinsen auf die gleiche dumpfe Art gute Laune ein. Dabei wirkt er wie jemand, der aus bunten Zivildienst-Abenden im Altersheim bundesweites Entertainment gemacht hat. Gegen Unterhaltung für alte Menschen ist selbstverständlich nichts einzuwenden, doch alles an Silbereisen wirkt falsch. Das müssten auch die Senioren merken. Denn hier wird ihnen der geforderte Respekt vor dem Alter devot in ungesunden Mengen serviert: "Beuge dich vor grauem Haar", heißt eine Volkstums-Hit-Single. Heile Welt ist hier gleichbedeutend mit einem Bild der Jugend, das so brav und züchtig ist, wie es einst in Hitlerjugend und BDM gepflegt wurde.

Der Moderator Stefan Raab hat Silbereisen deswegen nun als "Senioren-Stricher" beschimpft. Das ist polemisch überzogen und boshaft. Aber dieses ganze junge Volkstum ist ja tatsächlich deshalb so surreal und eklig, weil es eine überkommene Ästhetik unhinterfragt fortführt, die eben einer zweifelhaften Tradition und nicht einer lebendigen Jugendkultur entstammt. In der Praxis bedeutet dies, dass man volkstümliche Schlager hie und da mit elektronischen Beats unterlegt, weil man Beats für Pop und damit für einen untrüglichen Ausweis alles Jungen hält. Das ist so anbiedernd wie heuchlerisch, denn ideologisch gibt man sich ja streng antimodern. Über diesen vergangenheitsseligen Mechanismus scheint die volkstümliche Musik stetig neue Hörer zu gewinnen, die aus der Welt des schnellen Wandels aussteigen: Man muss nur fröhlich ja sagen zu Frühvergreisung und erhöhtem Tellerrand, und schon schenkt einem das Volkstum geistige Geborgenheit.

Problematisch ist diese Musik nämlich auch, weil sie bei aller Harmlosigkeit ihrer Anmutung das aggressive nationalistische Element bewahrt hat und sich immer nah an der Grenze zur Agitation bewegt: Das Volkstum duldet das Andere nicht. Kürzlich sang beim Finale einer Volksmusikshow die ganze Musikantenschar ein Agitprop-Lied mit der Botschaft, dass man als Deutscher gefälligst auf Deutsch zu singen habe. Auch Romy distanziert sich von imperialen Einflüssen: "Ich bin koa Avril Lavigne, ich bin koa Shakira", singt sie und erklärt die Welt aus dezidiert niederbayerischer Perspektive: "Mein Herz, das schlägt in Wirklichkeit nur für Bayern-Pop".

Als ihr Rollenmodell nennt Romy selbstverständlich Florian Silbereisen, wie er hätte sie gerne eine eigene Fernsehshow, und es ist zu befürchten, dass ihm noch viele weitere junge Menschen nacheifern. Seit der Einführung des "Musikantenstadls" im Jahre 1981 glaubte man, die Volkstümelei der ARD sei ein letztes Aufbegehren der Ewiggestrigen. Dann erschien irgendwann das betonfrisierte Volksmusiknachwuchspaar Stefanie Hertel und Stefan Mross auf der Bildfläche. Und nun jubelt der Vogtland Anzeiger über Romy und Christian Gebhardt: "Endlich, das neue Traumpaar ist da!" Bezeichnend auch, welche Erfolgskriterien herangezogen werden: "Romy sang mit Roberto Blanco im Duett, Christian trat mehrmals in Florida auf."

Wir werden uns an die fortdauernde Proliferation der Stimmungsraketen gewöhnen müssen: Auch wenn wir 100 Jahre alt werden, wird immer noch aus irgendeinem Lautsprecher, nicht nur im Vogtland, sondern in jeder geistigen Provinz, ein junger Mensch in einem volkstümlichen Schlager die Schönheit der Heimat besingen. Und wenn wir Pech haben, klatschen wir dann mit.

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