Volkstheater:Theater der Stille

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Sankar Venkateswaran untersucht anhand eines Ausschnitts aus dem indischen Urepos "Mahabharata" die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens der Menschen

Von Egbert Tholl

Christian Stückl war Im Jahr 2000 in Indien. Da ist er häufig, da hat er auch schon einmal einen "Sommernachtstraum" inszeniert. In jenem Jahr weilte er in Kerala, einem Bundesstaat im Südwesten des Subkontinents, also unten links. Stückl wollte sich die "School of Drama" dort anschauen, was sich am Ort selbst dann auch recht schnell herumsprach. Jedenfalls ging die Kunde, da käme ein europäischer Regisseur vorbei, die Kunde erreichte auch Sankar Venkateswaran. Der studierte damals an der Theaterschule - zwei Jahre später war er Jahrgangsbester. Im Jahr 2000 beschäftigte er sich gerade mit Heiner Müller und freute sich, dass da ein deutscher Theatermann vorbeikommt, den er was fragen kann. Stückl also traf auf Venkateswaran - und der überschüttete ihn mit Heiner Müller, mit Fragen, Ansichten, allem. Stückl war irritiert. Man reist nicht unbedingt Tausende von Kilometern, um sich mit Heiner Müller auseinander zu setzen. In Indien.

Wie es weitergeht, kann man sich denken. Stückl, der größte Menschensammler unter den deutschen Theatermachern, kehrt wieder und wieder nach Kerala zurück, dann verlieren der Intendant und der Student einander zwar aus den Augen, treffen sich aber in Zürich wieder, als Venkateswaran ein "Artist in Residence"-Stipendium erhält. Stückl zeigt ihm Oberammergau, Venkateswaran ist hingerissen und lädt Stückl in den Dschungel ein. Nun ist er schließlich hier, am Volkstheater, und inszeniert mit den Schauspielern dort "Tage der Dunkelheit", einen winzigen, dramatisierten Ausschnitt aus dem riesigen indischen Urepos, das "Mahabharata". Sankar Venkateswaran spricht ein farbenreiches Englisch mit dem typischen Akzent seiner Heimat und sitzt nun gerade vor dem Volkstheater, einen Teller Nudeln essend, was bei ihm so aussieht wie ein Suchbild, auf welchem man den Fehler finden soll.

Die Bilder entstehen im Kopf des Zuschauers - und ein bisschen auch auf der Bühne. (Foto: Gabriele Neeb)

Das mit dem Dschungel stimmt übrigens wirklich. Zehn Stunden von jeder Zivilisation entfernt, errichtet Venkateswaran gerade ein Theater für Angehörige der Kaste der Unberührbaren. Die, ausgestoßen aus der Gesellschaft, immer noch, haben sich in den Dschungel zurückgezogen, weil sie sich den täglichen Erniedrigungen nicht mehr aussetzen wollen, also geht Venkateswaran zu ihnen. Es sei, so sagt er, eher "Community Work", was er da tue, seit 2012 unterstützt vom "International Ibsen Scholarship". Daneben habe er seine eigene, "normale" Theatertruppe mit vier festangestellten Darstellern, mit der er durch Indien toure, wo es kein System der festen Häuser wie in Deutschland gebe. In Japan hat er übrigens auch schon gearbeitet, und wenn er erzählt, was ihm im Theater am Herzen liege, leuchtet das auch schnell ein. Sein Theater bestehe aus "living human silence". Aus Stille. "Die meiste Zeit des Tages sind wir still." Wenn man dann zu ihm sagt, es sei ja doch sehr lustig, sein Theater, das er für normal hält, entweder Ausgestoßene im Dschungel oder Stille, dann meint er nur: "What is normal?"

Still wird es bei "Tage der Dunkelheit" nicht werden. Wie viele der alten Epen berichtet das Mahabharata auch viel von monströsen, mythischen Schlachten, ähnlich wie die "Ilias" vielleicht. Nun schuf der Dichter Bhasa schon in der Zeit, in der das Epos entstand, also vor 2000 Jahren, plus/minus 400 Jahre, so genau weiß man das nicht, dramatische Bearbeitungen von Teilen der Versdichtung. Von diesen nahm sich Venkateswaran das Drama der letzten Schlacht fürs Volkstheater vor. In einer sehr speziellen Version, die eigentlich nur sechs Seiten umfasst, wie er erzählt. Aber die deutsche Übersetzung, die entstehe erst bei den Proben. Also Spielen und Textfinden sei ein organischer Vorgang; über das Spielen entstünden die Charaktere und daraus wird dann der Text. So in etwa. Und die Bilder, die kämen dann im Kopf des Zuschauers dazu. Elefanten gibt es keine auf der Bühne.

Sankar Venkateswaran, Regisseur, Schauspieler und Komponist, gründete 2007 das "Theatre Roots & Wings" und leitet das International Theatre Festival of Kerala. (Foto: Gabriele Neeb)

Ein bisschen scheint es für Venkateswaran selbst eine Art Forschungsprojekt zu sein. "Deutsche Schauspieler gehen mit Worten um wie indische Tänzer mit ihren Augen." Als er in Zürich weilte, untersuchte er alemannische Masken. Er ist ein Forscher, ein Theateranthropologe. Er ist verblüfft über die sechs Wochen Probenzeit, um in München einen Abend über das Entstehen von Demokratie, über Gewalt, Rache und die Möglichkeiten der Hoffnung zu entwerfen. "Ist es möglich, den Ozean von Blut zu überwinden, oder stehen wir für alle Ewigkeit in einem Massengrab?"

Tage der Dunkelheit , Premiere am Sonntag, 19. Juni, 20 Uhr, Kleine Bühne des Volkstheaters

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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