Volkstheater:Möwe al dente

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Pascal Fligg und Jule Ronstedt in "Die Möwe" am Volkstheater. (Foto: Arno Declair)

Christian Stückls Tschechow-Komödie

Von Egbert Tholl, München

Ein Streicherarpeggio - und das Licht von Arndt Rössler geht an. Die Musik, dunkle Klavier- und Streicherklänge von Tom Wörndl, und das nie aufdringliche, sondern präzise zwischen psychologischen und naturalistischen Stimmungen abwechselnde Licht schaffen die Grundierung dieser Aufführung, bilden von Anfang an den Hinweis auf das Ende, wenn der Spaß aus ist und die Tragik einzieht. Diese Grundierung ist zart, müsste vielleicht schwerer sein, um jenes Ende emotional plausibler zu machen. Denn Christian Stückl inszeniert Tschechows "Möwe" im Münchner Volkstheater auf dieser atmosphärischen Grundlage bis zur Pause als furiose Komödie.

Klar, Tschechows Stück ist eine Komödie, und es ist auch schön, dass man nicht von vornherein in birkengesäumter Melancholie versinkt, sondern im pittoresk heruntergekommenen Türenraum von Stefan Hageneier absonderliche Figuren in absonderlicher Weise zugange sind. Über weite Strecken glaubt man sich eher bei Feydeau, der zwar ein Zeitgenosse Tschechows war, dramaturgisch aber eher den Irrsinn verfolgte. Vom Vaudeville stammen indes in Stückls Inszenierung die Kostüme (Hageneier), mehrheitlich Zitate von irgendwas, Paris, Shakespeare, "Adam's Family" oder weiß der Kuckuck. Nur die Möwe, also die Nina Saretschnaja, ist rein Zitat ihrer selbst, trägt ein weißes Kleidchen, fliegt herein wie eine Hummel und hat viel vibrierende Not in sich - Julia Richter macht das sehr schön.

Überhaupt gibt es hier viele schöne Momente, etwa die vollkommen durchgeknallte Luise Deborah Daberkow als heißlaufende Allzweckangestellte oder Jule Ronstedt als nie alternde Irina mit Schalk und Lust. Ronstedts Rückkehr vom Film auf die Bühne ist umflort von Charme und Aufgeregtheit. Zwei machen keinen Quatsch: Pascal Fligg verleiht dem Sorin, Bruder der Irina, Würde, adelt die Figur zum echten Charakter. Und Jakob Gessner bewegt sich als Trigorin, Schriftsteller und Lustobjekt, auf einem scharfen Grat zwischen Überheblichkeit, Empathie und Klugheit. So gelingt Stückl der erste Teil in seiner ganzen Diskrepanz aufregend.

Doch wie kommt man aus dem aufgekratzten Treiben wieder raus? Die "Möwe" endet in der Aporie zerstörter Leben und Lieben. Doch zu dieser Zerstörung führt dann nur der Weg der Behauptung. Im Grunde beschreibt Tschechow die Nöte derer, die auf der Bühne stehen. Und zwar der Figuren, wie auch der Darsteller selbst. Am Volkstheater sind junge Menschen engagiert, die meist am Anfang ihres Berufs stehen und von großer Sensation träumen. Darüber schreibt Tschechow.

Mithin könnte man davon träumen, dass sich in der Aufführung etwas öffnen könnte, dass die Darsteller durch ihre Figuren hindurchscheinen. Bei Stückl bleibt es - wie meist in Tschechow-Inszenierungen - bei der reinen Stellvertreterschaft mit dem großen Problem, am Ende Tiefe erzielen zu müssen, wo deren Herstellung mühsam ist und vorher lustig war. Das haut dann auch nicht so gut hin, weder bei der davor so beeindruckenden Julia Richter noch bei Oleg Tikhomirov als Konstantin, dem die Wut besser steht als die Verzweiflung. Doch es bleibt die Rasanz des ersten Teils.

© SZ vom 28.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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