Videokunst:Die Wendung mit der Maus

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Herbert Nauderer führt die Besucher seiner Ausstellung gerne an der Nase herum

Von Sabine Reithmaier, Ismaning

Nicht alle Filmemacher finden für ihren Erstling gleich so erstklassige Schauspieler wie Herbert Nauderer. In "Parasite Island" sitzen sich Sepp Bierbichler und Sibylle Canonica an einem Tisch gegenüber und löffeln eine undefinierbare schwarze Suppe. Die Frau hat eigenartige Ohren, der Mann trägt überdimensionierte Kopfhörer. Der Verständigung dient beides nicht, das Paar redet aneinander vorbei. Im Zimmer nebenan lebt, gefesselt ans Bett, ihr Kind, ein seltsames Wesen mit Mausmaske und Micky-Maus-Ohren. Warum es die primitive Fessel nicht löst - die Hände sind frei - das ist die erste von vielen Fragen, die sich angesichts des beklemmenden Szenariums stellen.

Die große Ausstellung, die das Ismaninger Kallmann-Museum Herbert Nauderer widmet, ist dramaturgisch ganz auf den Film hin konzipiert. Der 1958 in Fürstenfeldbruck geborene und in der "Kitschpostkarte" Weipertshausen am Starnberger See (Nauderer) lebende Künstler spürt darin 13 Minuten lang der Herkunft des Mausmanns nach, jener Figur, die sich vor einigen Jahren plötzlich in seine Zeichnungen einschlich - ein Ur-Mausmann hängt im ersten Saal. Möglicherweise tauchte er zum ersten Mal im "Rembrandt-Ballett" auf, jenem Zyklus, den Nauderer zwischen 2000 und 2010 zu Bachs "Goldberg-Variationen" schuf: tagebuchartige Momentaufnahmen seiner Stimmung und künstlerischen Entwicklung.

Seither jedenfalls geistert der Mausmann durch sein Werk. Eine gesichtslose, unbeholfen wirkende Figur mit Mausmaske. Auch wenn sie den Mittelpunkt von Fotos bildet, wirkt sie wie der ewige Außenseiter, den alle übersehen. Vergeblich sucht der Mausmann, gespielt von Nauderer, nach einem Freund, stolpert in einer Video-Dauerschleife durch den Wald, wühlt im Boden. Alles sehr ausweglos, aber sehr rhythmisch, schließlich ist sein Darsteller auch ein leidenschaftlicher Musiker.

Nauderer arbeitet persönliche Fundstücke in seine Kunst ein. Ein Lichtkasten mit Familienfoto zeigt seine Mutter, die mit ihm auf dem Arm und der älteren Schwester im Garten steht. Warm leuchten die Farben, nur der Buchs schiebt sich im Hintergrund bedrohlich ins Bild. Daneben reihen sich auf einem Regalbrett die unbewohnt wirkenden Miniaturhäuschen, mit denen sein Cousin und er Dörfer entlang der Modelleisenbahn entstehen ließen. Hinter den Fenstern passiert irgendetwas Grauenvolles - die Assoziationen, die "The neighborhood" hervorruft, sind nicht positiv. Schräg gegenüber im "Lunch" sitzt eine Sechzigerjahre-Familie beim Mittagessen, löffelt dieselbe schwarze Suppe, die Bierbichler und Canonica zu sich nehmen.

Dann tanzen die 168 Zeichnungen des Rembrandt-Balletts am Betrachter vorbei mit witzigen, zarten, rätselhaften Köpfen, aber auch beängstigenden, undefinierbaren Formen. Geschichten erzählen die Vitrinen, in denen Nauderer Fotos, Notizbücher, Zeichnungen, Bücher ausbreitet. Alles hat er ein wenig bearbeitet und in neue Zusammenhänge gestellt. Aber sobald man glaubt, einen Erzählstrang zu erhaschen, biegt die Geschichte ab, verweigert sich der Enträtselung.

Genau das passiert auch im Film. Keine Erwartung erfüllt sich, obwohl die Mimik der großartigen Sybille Canonica unmissverständlich ist. Tom Fährman hat als Kameramann die dumpf bedrohlichen Bilder gefunden, die Herbert Nauderer haben wollte. Die skurrilen Dialoge hat er mit seiner Frau, der Drehbuchautorin Annika Tepelmann, entwickelt.

Es ist schwer, sich der negativen Befindlichkeit der Filmfamilie zu entziehen. Plötzlich denkt man an die Fotos im ersten Saal: der Mausmann in einem halbverfallenen Lungensanatorium in Brandenburg. Und an die leeren Bahnhäuschen. Vielleicht bildet der Film nicht bloß eine Familie, sondern doch eine Grundstimmung unserer Gesellschaft ab. Nauderer bleibt eine Antwort schuldig. Auflösungen sind nicht sein Fall.

Herbert Nauderer: Parasite Island; Mausmannsland , bis 27. Nov., Kallmann-Museum Ismaning; Konzert mit Herbert Nauderer, Axel Wolf, Cornelius Borgolte und Jost Hecker, Fr., 28. Okt., 20 Uhr

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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