Verleihung der Grammy Awards:Siegestaumel im Sanatorium

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Die große Nacht einer Abwesenden: Amy Winehouse gewinnt drei der vier wichtigsten Grammys und triumphiert von London aus bei der Gala in Los Angeles.

Christian Kortmann

Selten hat man den Fernseher derart gespannt eingeschaltet, um zu sehen, wie jemand nicht auftritt: Sonntagnacht, die 50. Verleihung der Grammy Awards, und neben dem routinierten Wechselspiel von Laudatoren, Showauftritten und Preisübergaben gelang der Veranstaltung die Einführung einer Kategorie, die in Zukunft selbst preiswürdig sein könnte: die der medienpräsentesten Abwesenheit, in diesem Jahr nach allen Regeln der Kunst dargeboten von Amy Winehouse.

Auftritt via Satellit - Amy Winehouse auf Leinwand bei den Grammys 2008. (Foto: Foto: Reuters)

Dank des Einreise-Reha-Klinik-Theaters um ihre Person - wegen aktenkundigen Drogenbesitzes durfte sie zunächst nicht nach Los Angeles reisen, als sie das Visum dann doch erhielt, war es angeblich zu spät - genossen die Grammys eine Extraportion Aufmerksamkeit.

Gleich zu Beginn fügte Alicia Keys der Liste überraschender Duette, ein Markenzeichen der Grammy-Shows, einen Dialog mit dem via Leinwand eingeblendeten Frank Sinatra hinzu. Zum zeremoniellen Aufwärmen bekam sie von dem auch für seine Verhältnisse extrem stylischen Prince einen Grammy als beste R'n'B-Sängerin überreicht.

Weitere herausragende Auftritte lieferten Herbie Hancock (Album des Jahres, "River: The Joni Letters") und Lang Lang an zwei Klavieren sowie Tina Turner und Beyoncé in silbern glänzenden Weltraum-Turnanzügen, wobei das Accessoire des Abends zweifelsohne die Leuchtbrille von Kanye West war.

Die Grammys sind zwar immer wieder für solch überraschende Nummern gut, doch zugleich leider die langatmigste aller Award-Shows. Das liegt zum einen an der - im Vergleich zu den Oscars - Abwesenheit großer Rhetorik-Komödianten vom Schlage eines Robin Williams oder Billy Crystal, zum anderen daran, dass von den vier "Haupt"-Grammys (Beste Single, Bestes Album, Bester Songwriter, Bester Nachwuchskünstler) nur einer pro Stunde verliehen wird. Die Zwischenzeit wird mit manchmal albernen Programmpunkten wie einem Beatles-Musical oder der unbedingt notwendigen Paarung einer Rockband wie den Foo Fighters mit einem Streichorchester gefüllt.

Um das Interesse aufrecht zu halten, war deshalb in den Ankündigungen für das, was nach der nächsten Werbeunterbrechung oder irgendwann später kommen würde, oft von Frau Winehouse die Rede. Als unberechenbarer Faktor rückte sie stärker ins Bewusstsein des Publikums, als wenn sie brav in der ersten Reihe zwischen den ebenfalls prämierten Kanye West und Rihanna gesessen hätte. Und der Lauf des Abends spielte ihr in die Hände: Da hagelte es von Beginn an die wichtigsten Grammys, Best New Artist, Best Song, und die virtuelle, da abwesende Amy Winehouse wurde immer größer, wie eine Computerspielfigur, die Bonuspunkte verspeist und an Macht gewinnt.

So erwartete man schließlich Großes von ihrem Auftritt, der aus London übertragen wurde, etwas, das noch größer wäre als die Grammys selbst, weil diese Künstlerin ja nicht hier ins Staples Center in Los Angeles gepasst hatte, da sie "Drugs & Rock'n'Roll" manchmal zu wörtlich nimmt und sich momentan in einer Entziehungskur befindet. Um 3.40 Uhr Greenwich Mean Time, sie hatte sich solange wohl mit Ingwertee wach gehalten, sang Amy Winehouse dann ein Medley aus ihren Liedern "You Know I'm No Good" und "Rehab", das man in diesem Zusammenhang auch als Lobgesang auf Home-Office und Telearbeit interpretieren kann: "I'd rather be at home with Ray. / I ain't got 70 days."

Lieblingspub ist abgebrannt

Man hatte Amy Winehouse in London auf einer gemütlichen Nachtclubbühne platziert, und sie sang treffsicherer als zuletzt bei den MTV Europe Music Awards. Ab und zu tippelte sie mit ihren hochhackigen Schuhen auf der Stelle, als freute sie sich, dass es an diesem Abend so gut lief für sie. Als sie dann die Nachricht vom Gewinn des dritten Grammys (Beste Single) erhielt, starrte sie zunächst ungläubig auf die Leinwand. Dann widmete sie die Auszeichnung Londons Stadtviertel Camden Town, wo Samstagnacht ihr Lieblingspub abgebrannt ist.

"Die Grammys kommen zu früh", hatte der Vater von Amy Winehouse gesagt und damit "zu früh" für ihren Gesundheitszustand gemeint. Man könnte seine Worte jedoch auch auf den Zeitpunkt in Winehouse' Karriere beziehen, schließlich ist ihr Album "Back to Black" vor allem eine Talentprobe. Bislang beherrscht sie zwar das Im-Gespräch-Bleiben meisterlich, aber ihr Meisterwerk könnte sie noch liefern.

Solche Sachen dachte man, als man Sonntagnacht den gereiften Großstimmen von Aretha Franklin und Tina Turner zuhörte: Wäre doch für alle Beteiligten ganz schön, wenn sich Amy Winehouse irgendwann mal auf dieser Bühne blicken ließe.

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