Verleihung der Corine-Literaturpreise 2004:Räkeln und Rätseln mit Rilke

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... aber,aber: so schlimm war´s ja gar nicht... obwohl ... wenn man sich´s genau überlegt ... also ... es gab da Programmteile, gegen die jeder Heimatabend mit Liedgut einen schlanken Fuß macht.

IJOMA MANGOLD

Es gibt nur einen Kontext, in dem der Satz "Es war schon viel schlimmer" als glattes Lob durchgeht: Das sind jene zwei berühmt-berüchtigten Buchpreis-Galaveranstaltungen, die sich aufs Panier geschrieben hatten, mit den Mitteln der öffentlich-rechtlichen Fernsehunterhaltung etwas vom Glamour Hollywoods auf die Welt der Bücher und des stillen Lesens zu lenken.

Sieht bestürzender aus, als es war: Keine der Damen weint, man gratuliert sich. Und zwar: Die Schauspielerin Ulrike Kriener (r) übergibt auf der Bühne des Münchener Prinzregententheaters die Corine die britische Schriftstellerin Louise Welsh. Welsh erhielt den Preis für ihr Buch 'Dunkelkammer'. Der Preis wurde zum vierten Mal vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels verliehen. (Foto: Foto: ddp)

Da man seinerzeit nicht willens und in der Lage war, sich auf einen Standort zu einigen, ging seit bald einem halben Jahrzehnt jeweils im Frühling der von Günter Grass entworfene "Butt" in Leipzig über die Rampe, während im November die Corine in München zur Verleihung kommt.

"Es war schon viel schlimmer", heißt in Bezug auf die Corine 2004, die am Mittwoch im Münchner Prinzregententheater vergeben wurde, zweierlei: Dass es lange nicht so weh tat wie beim Butt in Leipzig, der sein "Aus" in diesem Jahr nicht zuletzt dem unerschrockenen Einsatz des MDR-Fernsehballetts und den Hitzewellen aus Scham, Pein und Verzweiflung verdankte, die das Publikum zu durchwehen pflegten; und zweitens, dass die Corine auch im Vergleich zu ihren eigenen Vorgängerveranstaltungen nicht mehr ganz so schlimm ist.

Doch gibt es auch hier denkwürdige Szenen zu vermelden, die sensibleren Naturen durchaus die Schuhe ausziehen können.

Gerne erinnern wir zum Beispiel das Rilke-Projekt, das in der Kategorie Hörbuch ausgezeichnet wurde. Schauspieler wie Katja Riemann, Heino Ferch oder Hannelore Elsner deklamieren, von Musik unterlegt, Rilke-Verse.

Welche Grenzen des guten Geschmacks aber durchbrochen werden müssen, um Rilke bestsellerfähig zu machen, demonstrierte eine Kostprobe, gegen die jeder Heimatabend mit Liedgut auf der Hammondorgel einen schlanken Fuß macht: Auf einem vierstufigen Podest räkelte sich Jürgen Prochnow wie ein wild entschlossener Laiendarsteller, der für sein erstes selbst gedrehtes Erotik-Home-Video noch etwas zaghaft übt.

Auf einer Videoleinwand sah man Herbstlaub rascheln und eine sehr späte Sonne sich in den Wellen eines Sees spiegeln. Eine Combo entlockte ihren Instrumenten schaurige Synthesizer-Klänge - halb Kaufhauspop, halb Meditationsschmuh. Und Jürgen Prochnow sagte: "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr."

Hübsch war auch die stringente Vergabe des Weltbild-Preises an die Autorin Patricia Shaw, deren Buch "Wind des Südens" bei Weltbild erschienen ist. Der Ökonom Hans Werner Sinn konnte sich gar nicht genug tun, eine ganz schülerhaft-petzende Häme über die Gewerkschaften auszugießen - und als sei Häme eine schöne Charaktereigenschaft wie Großzügigkeit, Nachsicht oder Warmherzigkeit, bekam er für seine dürren, anmutlosen Schmähungen Szenenapplaus.

Und der Redenschreiber des bayrischen Ministerpräsidenten könnte noch einmal bedenken, ob es wirklich die beste Formulierung war, vom ungarischen Literaturnobelpreisträger Imre Kertész, der 1944 nach Auschwitz und Buchenwald deportiert wurde, zu sagen, ihn verbinde vieles mit Deutschland. Aber, wie gesagt, es war schon viel schlimmer.

© SZ v. 19.11.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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