Varieté:Im Reich der Schwerelosigkeit

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Girma Tsehai zeigt an der Vertikalstange, dem Pole, sein Können. Der 37-jährige Äthiopier unterrichtet mittlerweile auch an der Artistenschule in Addis Abeba. (Foto: Gop)

Afrikanische Künstler entwerfen in der fulminanten Gop-Show "Le Club" ein modernes Bild ihres Kontinents

Von Barbara Hordych, München

Ein modisches Requisit, das so manche elegante Dame in England oder Frankreich seinerzeit straucheln ließ, gestaltet der 28-jährige Südafrikaner Jade Lee Petersen in der neuen Gop-Show "Le Club" zu einem Objekt um, mit dem er in schier unglaublicher Virtuosität spielt: Eine Wespentaille hat der grazile Kontorsionist, der seinen schmalen Körper scheinbar knochenfrei in sämtliche Richtungen zu verbiegen vermag, ohnehin. Doch wie er das ausladende Gestell einer Krinoline in seine Nummer integriert, indem er beispielsweise lässig von hinten durch seine eigenen Beine und besagtes Gestell schaut, dürfte die Biegsamkeit der einstigen Reifrock-Trägerinnen weit übertreffen.

Aus sieben verschiedenen Ländern wie Äthiopien, Ghana, Senegal, Südafrika und Burkina Faso kommen die Künstler, die in "Le Club" das Bild eines Kontinents zeichnen, das weit entfernt von Steppe, Tier und Wüstensand die innovativen und spannenden Entwicklungen in den großen Metropolen in den Blick nimmt: Irgendwo in Afrika ist dieser hippe Club lokalisiert, der so vielleicht auch in Berlin, London oder New York liegen könnte. Es ist ein eher poetischer denn ein wirklicher Ort, der da imaginiert wird. In dem (Wild-)Tiere allenfalls augenzwinkernd zitiert werden, etwa wenn der androgyne Krinolinen-Künstler Jade Lee Petersen zu einem späteren Zeitpunkt einen Kollegen im Tigerplüschkostüm an der Leine über die Bühne führt.

Übrigens ist die Krinoline nicht das einzige sehr europäische Kleidungsstück, das in "Le Club" entsprechend umfunktioniert zum Einsatz kommt. Der Äthiopier Girma Tsehai etwa zeigt, was man mit klassischen Hüten so alles anstellen kann - und dass sie im halben Dutzend sogar dazu taugen, nackte Blößen zu bedecken. Während er die dunkelgrauen Borsalinos blitzschnell vom Kopf über Rücken, Brust und Beine wandern lässt, gelingt es ihm im entscheidenden Moment immer, zumindest einen davon auf der wichtigsten Stelle zu belassen. Dass diese tatsächlich blank ist (oder genauer wäre), demonstriert er, als er am Schluss dem wild applaudierenden Publikum seine - nackte - Rückseite zukehrt. Tsehai ist mit 37 Jahren der älteste der "Club"-Akrobaten und unterrichtet schon seit Jahren an der Artistenschule in Addis Abeba. Aus Äthiopiens quirliger Hauptstadt kommt auch sein Landsmann Tarik Usman. Gemeinsam begeistern sie mit einer Darbietung am Pole, bei der sie über- und untereinander an der Vertikalstange hinaufklettern, herunterrutschen und dazwischen scheinbar schwerelos im 90-Grad-Winkel, ohne Hände, nur mit den Füßen gehalten, hängen bleiben.

Mögen die Attribute "Tanzfreude" und "Lebenlust" auch Klischees sein, mit denen Afrikaner, durch die koloniale Brille betrachtet schon immer gerne belegt wurden. Man kommt nicht umhin, genau diese Attribute erneut zu bemühen, wenn es um die Beschreibung dieser fulminanten Show geht, deren Konzept Gop-Kreativchef Werner Buss erfand und mit den Regisseuren Markus Pabst und Pierre Caesar umsetzte. Auch wenn das Quartett aus Burkina Faso mit ihrer Sängerin Awa Diarra die Vielseitigkeit der afrikanischen Musikstile, kombiniert mit Sounds aus dem Computer, zelebriert, wird dabei in mitreißender Impulsivität getrommelt und getanzt. Letzteres übernehmen die beiden energiegeladenen Tänzerinnen Adama Hawa Sow Ep Bodian und Mame Diarra Mbaye aus dem Senegal, deren Füße ein Eigenleben zu führen scheinen und die den Abend aussagekräftig anstelle einer verbalen Moderation begleiten.

© SZ vom 25.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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