Uwe Johnson und Walter Kempowski im Briefwechsel:Der Wüterich und der Dünnhäuter

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Uwe Johnson war ein reger Kempowski-Leser und beide standen in einem rührigen und inspirativen Briefwechsel.

Jörg Drews

Am Anfang geht es um Mecklenburgica, und das Ende signalisieren ebenfalls Mecklenburgica; dazwischen, zwischen 1971 und 1983, entwickelt sich ein empfindlicher und brüderlicher, landsmannschaftlicher und - bis kurz vor Schluss - meist fast zeremoniös gehemmter Briefwechsel, der den Leser bewegt und in ratloser Melancholie zurücklässt.

Walter Kempowski (links) und Uwe Johnson (Foto: Foto: dpa)

Der Kempowski-Leser Uwe Johnson fragt gleich bei der Lektüre von ,,Tadellöser & Wolff'' 1971 dringlich-telegraphisch an, ob das kuriose Adjektiv ,,iben'' Familienschnack oder Gemeinrostockisch ist, und gleich darauf erkennt er auch, dass die Kraft Kempowskischen Erzählens eben in ihrer Dinglichkeit und in dem geringen Grad der Bevormundung des Lesers, sprich: in der fehlenden moralischen Qualifizierung des Erzählten liegt: gut sei ,,die Vorführung eines tatsächlichen Lebens, bei der die Entstellung durch ästhetische oder gar moralische Sinnprogramme vermieden ist''.

,,Der Verfasser kann es besser, als hier zu sehen ist''

Für solch rasche Einsichten in seine Poetik ist der Autor Kempowski Johnson natürlich dankbar - in seiner Verunsicherung braucht er Zuspruch, aber bitte nur Zuspruch, denn als später Johnson die Vorstufe des Romans ,,Uns geht's ja noch gold'' unbarmherzig - man könnte auch sagen: etwas sadistisch - begutachtet, ist er ihm doch gram: ,,Solange das Buch in diesem Zustand ist, sollte dem Verfasser von einer Veröffentlichung abgeraten werden. Er kann seine Sache besser, als hier zu sehen ist.''

Diese Sätze müssen Kempowski umso mehr getroffen haben, als Johnson eben auch von ausgesuchter Höflichkeit sein konnte und ein wirklich intensives Detailinteresse an Kempowskis Texten nahm; bis heute lässt dieser übrigens niemanden Einsicht nehmen, wie das von Johnson lektorierte Typoskript von ,,Uns geht's ja noch gold'' aussah; der Schmerz sitzt offenbar tief.

Zwar gibt es dann doch wieder einen Brief, in dem Kempowski bedauert, nicht doch mehr von Johnsons Kritik ins Buch übernommen zu haben, aber solche Souveränität konnte der damals ja noch keineswegs von Erfolgen stabilisierte Kempowski mit seinen nur zwei Büchern - ,,Im Block'' und ,,Tadellöser'' - nicht aufbringen, und bis heute ist er nicht einfach enttäuscht, sondern über die Maßen gekränkt und im Hader mit der Menschenwelt überhaupt, wenn er sich nicht ausreichend geliebt und gelobt fühlt. Was ja verständlich und rührend ist.

So tobt der Kampf hin und her zwischen den beiden Autoren, die sich vielfach verwandt fühlen. Sitzen sie nicht, beide Mecklenburger, an Jahrhundert-Erzählprojekten mit Mecklenburg und Rostock als dem Zentrum der Welt? Doch zugleich machen sie es in ihren Roman-Sequenzen so jeweils anders, dass sie einander noch nicht einmal als Konkurrenz empfinden müssen: Kempowskis ,,Deutsche Chronik'' und Johnsons ,,Jahrestage'' können gut nebeneinander existieren.

Zugleich bleibt da etwas Unentspanntes: Johnson moniert, die auf einen Erlebenden, seine Perspektive und seinen Wissensstand verengte Perspektive der frühen Romane Kempowskis werde sich nicht durchhalten lassen, Kempowski wiederum fürchtet sich nicht nur vor der argumentativen Massivität Johnsons: ,,ich habe immer etwas ,Schiß' vor Ihnen. Sie haben so etwas Strenges an sich, das mir zwar vertraut ist, aber mir den Mund verschließt.''

Uwe Johnson, Walter Kempowski, Kaum beweisbare Ähnlichkeiten, Der Briefwechsel. Herausgegeben von Eberhard Fahlke und Gesine Treptow. Transit Verlag, Berlin 2006. 144 Seiten, 14,80 Euro. (Foto: Foto: Transit Verlag)

Es ist zum Steinerweichen

So winken sie einander sympathisierend zu, indes Johnson sich nach Sheerness auf der Themse-Insel Sheppey zurückzieht, die Familie sich aufzulösen beginnt, seine Schreibblockade eintritt, er seine Mühe hat mit dem ihn bedrängenden Unseld (und der mit ihm) und er sich in immer größere Einsamkeit zurückfallen lässt: Ein dünnhäutiger athletischer Choleriker setzt sich von einem dünnhäutigen Leptosomen ab; jeder ist in seine eigene Gefangenschaft geschlagen und möchte doch eigentlich heraus.

Die Briefe zwischen 1973 und 1980 sind spärlich. Dann passiert etwas ganz Wunderbares, das diesen Briefwechsel bedeutend macht. Kempowski schreibt am 31. April 1980 ganz offen und sozusagen grundlos an Johnson: ,,Lieber Herr Johnson! Es liegt kein besonderer Anlaß vor, Ihnen zu schreiben, aber Sie wohnen und halten sich auf in der Fremde, und da sollte man doch mal Ihrer gedenken?''

Das ist die großartige, wie plaudernde und völlig untaktische Eröffnung einer Serie von Briefen, in denen die gepanzerten Mecklenburger ihre Rüstungen ein wenig öffnen und verschämte Geständnisse aus der Welt ihres Gefühlslebens machen: ,, ...habe ich der schriftlichen Zuwendung von Ihnen hin und wieder ein wenig entgegengesehen'', sagt der eine, und der andere fragt zwei Monate später: ,,Ich denke oft an sie und meine, daß Sie vielleicht einsam sind?''

Es ist zum Steinerweichen, und rückblickend kann man nur denken, dass es eigentlich ganz unglaublich ist, wie der eine sich in Geschäftigkeit und der andere in Depressionen eingemauert hat und beide es nicht geschafft haben, die eine gottverdammte Flugstunde von Bremen nach London oder umgekehrt auf sich zu nehmen, sich in die Augen zu sehen und einander - hölderlinisch gesprochen - des Herzens Meinung zu sagen.

Was dann aber zwischen August 1980 und Januar 1983 brieflich passiert, ist außerordentlich. Erstens läuft der Briefschreiber Johnson zu ganz großer erzählerischer Form auf; seine Schilderungen der Typen und Gespräche im Pub ,,Napier'' in Sheerness sind von unglaublicher Scharfsichtigkeit und Komik, so souverän wie auch leicht angesoffen (pardon, wenn ich mich getäuscht hätte), darunter das Porträt der Männer im Pub, die ihn, weil sie ,,Uwe'' irgendwie nicht aussprechen können, einfach ,,Charles'' taufen, und die tongue-in-cheek-Charakterskizze des Kunsttischlers Tony, der Johnsons Sessel repariert und dann u.a. erzählt, wie er mit dem Medical Corps 1945 Bergen-Belsen erreichte - das sind am Ende nur 10 Zeilen, aber die machen das Blut gefrieren.

,,Wissen Sie einen Sammler, der mir derlei abkaufen würde?''

Diese Briefe, in ihrer ungeheuren Aufgeräumtheit und ihrem bulligen, sarkastischen Humor muss man sich ja geschrieben denken von dem tief depressiven Johnson, der in einer absoluten Klemme steckt, den Kempowski immer wieder leise bettelnd auf den Kontinent, nach Nartum zu locken sucht.

Gerade noch den vierten Band der ,,Jahrestage'' kriegt Johnson hin und schließlich - wieder spielen die von ihm wie von Kempowski gesammelten Mecklenburgica eine Signal-Rolle - fragt er wie beiläufig , ob Kempowski einen Sammler wisse, welcher derlei ihm, Johnson, würde abkaufen wollen? Johnson will sich von einem zentralen Bestand seiner Bibliothek trennen - was ist das? Eine Verzweiflungstat und ein Appell, ein Hilfeschrei?

Die Edition des Briefwechsels ist sehr akzeptabel, aber an einigen Stellen ist der Kommentar sehr zurückhaltend; doch hat das, angesichts der Art, wie das Johnsonsche Ehedrama damals auch in der besten deutschen Wochenpresse behandelt wurde, auch wieder sein Gutes.

Viele Briefe sind faksimiliert wiedergegeben, aber gut lesbar, weil Johnson sehr saubere Schreibmaschinentypen und Kempowski eine hübsch leserliche Handschrift hat. Die Druckfehler sind ein bisschen zu zahlreich und sollten ebenso wie der Behauptung, die Frankfurter Zeitung sei schon 1939 eingestellt worden, in der nächsten Auflage korrigiert werden. Fahlke und Treptow haben ansonsten ausgezeichnete Arbeit geleistet und ein kluges Nachwort beigesteuert.

Warum das Buch nicht in Johnsons Verlag Suhrkamp erschienen ist, interessiert nicht: Hauptsache, wir haben es. Dieser Briefwechsel ist ein Memorial der Menschlichkeit in all ihrer Fragilität und ein Schatzkästlein deutscher Prosa; ja, einige Stücke daraus gehören in den höchsten Rang deutscher literarischer Briefe.

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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